- 73 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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Wir können vergangene Zeiten nicht heraufzaubern, über die Hintergründe seiner Arbeit muß jeder selber mit sich ins Reine kommen. Daß aber ein Funken des alten Geistes auf unsere Anschauungen vom Tonmaterial und seine Anwendung bei allen, die sich damit beschäftigen, zündend überspringe, möge mit dieser Arbeit erreicht werden.

Heinrich Strobel 8 hat in einem Aufsatz: "Die Einheit der modernen Kunst" vier Grundprinzipien aufgestellt, die für alle heutigen Künste gültig sind. Unter Punkt drei finden wir eine Deutung, die dem vorher Gesagten angemessen ist:

In der modernen Kunst tritt der Intellekt mit dem unbedingten Anspruch des Vorrangs auf. Die moderne Kunst ist eine zerebrale Kunst. Der Künstler ist ein denkend Gestaltender im wahren Sinne des Wortes ein homo faber, der Mensch, dessen höchstes Ziel ist, den Vorstellungen seiner Fantasie und seiner Denkarbeit die ihnen gemäße absolute Form zu verleihen. Nicht zufällig hat eine Reihe von modernen Künstlern wieder Poetiken geschrieben, d.h. Anweisungen, wie ein möglichst vollendetes Kunstwerk zu machen, d.h. zu gestalten und zu formen ist.

In der Sicht des heutigen Konsumenten ist die Zerebraltätigkeit, das denkende Schaffen, wenn es sich um Kunst dreht, ein negatives Kriterium. Daß dieses Kriterium gerade bei einem Volk so populär ist, das seine Dichter und Denker so stolz im Munde führt, habe ich stets als eine besonders charmante Ironie empfunden.

Wir versuchen aus Hindemiths Theorie allgemeingültig zu folgern:

1. Die Praxis des Singens und Spielens bleibt ein Grundmaß der Musik.
2. In jedem Bereich des musikalischen Wirkens ist eine angemessene handwerkliche Gesinnung zu entwickeln. Musikalisches Handwerk muß gelernt, trainiert und beherrscht werden, damit Musik "gespielt" werden kann.
3. Das musikalische Handwerk erweitere oder begründe sich durch die neue Ordnung des Tonmaterials, durch die neuen Einsichten in der Melodie- und Tonsatzlehre.

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Furche-Verlag 1957.


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