- 52 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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geselligen Natur eingebüßt, die durch die improvisatorische Anlage ehedem vorgegeben war, die allerdings nicht "radiogen" ist. So sei dem geschlossenen Typus (Kantatentypus) - ein tragfähiger Chor gestaltet ein Singen, in das alle Anwesenden hineingenommen werden - der offene Typus (Improvisationstypus) ergänzend gegenübergestellt. Er bietet die besondere Chance, die Anwesenden menschlich und musikalisch aufzuschließen. Das müßte sich "gemütlich, bequem und amüsant" abspielen. Der Singleiter hat dabei allerdings eine dominierende Rolle als anleitender und ansagender Musiker. Er hat sie geistbetont auszufüllen. Er darf nicht dem Witz des Conférenciers, dem Werbejargon des Marktschreiers, nicht der Geschäftigkeit des Betriebmachers verfallen. Sein Auftrag liegt darin, mit Musik zu spielen, in den Spielvorgang einzufangen, innere Leichtigkeit zu erzeugen, befreiendes Lachen zu locken, Unmittelbarkeit, Gelöstheit zu erreichen, Menschen so bewegt zu machen, daß sie Musik vollziehen können. Inhaltstiefe und melodische Entsprechung bleiben unverrückbare Gewichte für Gemütsbewegung und seelischen Tiefgang. Aber im geselligen Bereich gibt es auch andere Werte zu entdecken.

Die Lust an der Sprache und dem Sprechen selbst (siehe Orff), die Freude am Tänzerischen, die Entdeckung des Mimischen. Dabei braucht nicht unbedingt getanzt oder gemimt zu werden. Schon der Hinweis auf diese in den Liedern steckenden Möglichkeiten kann Belebung verursachen. Auch der instrumentale Charakter von Melodiezeilen kann verdeutlicht werden. Plötzlich klingen Zeilen anders, wenn man in ihnen den Trommelrhythmus spürt oder das Signalhafte oder den weichen Gambenton. Wie leicht und locker kann eine Melodie auf dem federnden Klangfließband in Orffscher Manier werden. Aber - und das ist wesentlich - gesellig wird es erst, wenn die Belebung nicht vorgegeben, sondern entwickelnd erfahren wird, ja, wenn sich der Leitende aus der Situation heraus Einfällen überläßt, die die Fülle der von ihm erwogenen Möglichkeiten noch übertrumpfen. (Großartig machte das einmal Bergese bei einem Offenen Singen mit Studenten mit seinem Lied "Ich weiß einen Mann, der heißt Klabautermann".) Der Leitende hat die Mittlerrolle, Musik gegenwärtig zu machen. Den Gegenwartsbezug zu den Anwesenden herzustellen, ist eine amüsante (also geistreiche) Aufgabe. Dabei kann jedes Singen den Charakter einmaliger Besonderheit bekommen. Der Spielansatz für jedes Lied geht zweifellos von seiner Gestalt aus. Sie zu entdecken ermöglicht erst, den


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