- 46 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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Walter Hensel belegt mit den drei melodischen Fassungen der Ballade "Es liegt ein Schloß in …sterreich" die Typen der Volkslieder. 5 Singen und Sagen gehören in der ältesten Fassung zusammen. 6 Diese Aussageweise erweist sich auch heute immer wieder da als gültig, wo sie versucht wird. Eine Laute mag begleiten, eine Drehleiter dazu tönen, oder die magischen Ostinati mögen dabei klingen wie in Orffs Fassung von "Herrn Olof". 7

Zum volkstümlichen Singen gehört der Kanon. Im Kanonsingen ist der Laie gemeinhin befähigt und bereit, viel Anspruchsvolleres auszuführen als im Volkslied. Aus welcher Spielepoche das Singradl auch stammen mag, immer nötigt es den Singenden, auf die Einsatzstelle zu achten und das Zeitmaß innezuhalten, um mit den anderen Stimmen zusammenzubleiben. Harmonisch gesättigte Stücke wie "Dona nobis pacem" oder "Alles schweiget" (Mozart) bedürfen bei ihrer dreistimmigen Satzanlage - es sind ja nur etwas aufgelockerte homophone Sätze - dennoch der Durchsichtigkeit. Sicher beeindruckt Mozarts sechsstimmiger Kanon "Heil dem Tag" auch dann, wenn er im Klang ertrinkt. Gerecht aber wird man ihm nur, wenn bestimmte Konturen der einstimmigen Linie hörbar bleiben. Die kunstvollen polyphonen Kanons des 15. und 16. Jahrhunderts klingen erst bei höchster Rücksichtnahme der Stimmen auf das Ganze hin befriedigend. Jeder der geistlichen Kanons aus dieser Zeit wie "Domine refugium" (Gumpelzhaimer), "Non nobis, Domine" (Bird), "Sanctus"(Clemens non papa) trägt eine Klangwelt in sich, die die Vorstellung des Kirchenraumes weckt, ganz gleich, an welchem Ort man sie singt. Voraussetzung ist allerdings, sie im Kreise zu singen und dabei auf das Zusammentönen und -strömen der Stimmen in einer gedachten Mitte oberhalb des Kreises zu lauschen.

Im gregorianischen Singen, im Sprechsingen der Liturgie liegt die stärkste Möglichkeit, horchendes Singen zu vollziehen. Bei Bittgesängen, in der Anbetung neigen wir das Haupt. Sich neigen, die Verneigung ist die körperhafte Gebärde, in der Horchen besonders möglich wird. Das geschieht etwa im Sanctus, im Agnus Dei, aber auch im Credo und im Tedeum und in verschiedenen Litaneien. Die

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