- 28 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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mehr und mehr von dieser Handhabung in den Musikstunden der Schule. Wir wissen, daß das Ansprechen des Sinnenhaften und Leibhaften auch für andere Unterrichtsgebiete fruchtbar werden kann. Jedoch scheint mir, daß eine Besinnung auf die ausgeprägten Unterrichtsverfahren in den anderen Fächern der Schule wiederum dem Umgang mit dem Liede förderlich sein könnte.

Im Deutschunterricht wird heute in der Gedichtbehandlung als eine Möglichkeit das Einlesen empfohlen. An Stelle einer inhaltlichen Verfransung entsteht während des Einlesevorgangs das Gespräch über Metrik, Rhythmik, Vers und Strophe, Situationsgehalt, Sinnbewegung, Klangleib, Atmung und Melos. Es macht diese Gestaltungsmittel bewußt und entwickelt Kriterien des richtigen und falschen Lesens. Das Einlesen erfolgt nicht chorisch, sondern einzeln. Welch eine Steigerung, Verselbständigung, Individualisierung wäre auch in der Musikstunde erreicht, wenn von Zeit zu Zeit in ähnlicher Weise mit dem Lied verfahren würde. Atemführung, Stimmklang, Linienführung, Rhythmik, Gliederung, sprachliche Sinnerfüllung, formale Ordnungen gerieten ins Gespräch und die Vorleistung des Singleiters, ehe er ein Lied einsingt, würde in Selbsttätigkeit von der Klasse entdeckt werden.

Der Religionsunterricht kann nie damit auskommen, Texte zu lesen, Sprüche und Lieder lernen zu lassen, sondern wird immer suchen, die Inhalte zu interpretieren. Es handelt sich dabei natürlich um gedankliche Interpretationen. Könnten wir nicht auch versuchen, ein Lied mehr und mehr musikalisch zu interpretieren, d.h. mit Tönen? Eine melodische Wendung, ein melodischer Ablauf verdeutlicht sich durch ähnliche oder entgegengesetzte Bildungen oder auch dadurch, daß man die Liedwendung wie in einem Hohlspiegel vergrößert, verkleinert, verlängert. Damit öffnet sich das Ohr für die vorgegebene Melodieführung, für die geprägte Gestalt. Im Grunde ist eine derartige Interpretation eine planvolle Improvisationsübung. Nehmen wir dem Liede etwas, wenn wir so seine eigentliche Gestalt erläutern? Wir meinen also eine Erläuterung durch Töne, nicht durch Worte.

In der Naturlehre, in der Biologie geschieht der Unterricht wesentlich durch Beobachtung. Was das Auge in der Pflanzenbeobachtung tut, besorgt in der Musik das Ohr. Das Auge sieht und leitet ins


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