- 218 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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einem Gau-Frauenschaftstreffen 3000 Frauen dirigiert in einem vierstimmigen Kanon. Als man mich dann jedoch hofieren wollte und mit in den Kreis der hohen NS-Würdenträger einzuladen versuchte, habe ich das abgelehnt.

W.: Aus all dem höre ich heraus, daß Sie sich der neuen Herrschaft nicht zugehörig fühlten. Ist das Ihre persönliche Distanz oder galt diese Distanz für alle Gleichgesinnten des Musikheims?

S.: Zweifellos gab es andere Einstellungen. Ich höre noch das Wort eines Musikers aus der Jugendmusikbewegung, das sei nun unsere große Chance, die wir nutzen müßten. Dahinter steht die Auffassung von der Musikalisierung des ganzen Volkes, einer musikalischen Grundlegung im Volkstum, und daß im Zusammenhang mit den propagandistischen Unternehmungen der nationalsozialistischen Herrschaft einer solchen Bestrebung der Weg bereitet sei.

Dieser Irrtum geht zweifellos auch darauf zurück, daß die Parteiführer in ihrer Terminologie solche Vermutungen unterstützten, daß sie die Begriffe der Jugendmusikbewegung in ihrem Vokabular brauchten. Es sind das Worte wie Volkstum, von Treu und Glauben, von alten überlieferten Werten ... Man konnte nicht sehen und auch nicht ahnen, welche Schrecknisse noch kamen.

Ich selber habe einmal in einem kleinen Gremium, in dem wir uns immer gegenseitig etwas vorlasen, ein Kapitel aus "Mein Kampf" vorgelesen, um damit zu zeigen, wie hier eine Sache ad absurdum geführt wird. Damals habe ich das Gegenteil damit erreicht: man meinte, ich stände dahinter. Man ist auch an mich herangetreten, ob ich nicht Gaukulturwart werden wollte. Man hatte mich von seiten des damaligen Kampfbundes für deutsche Kultur eingeladen, dem einstmals der Geiger Gustav Havemann vorgestanden hatte.

Ich führte einige Lehrgänge über Laienspiel durch. Die Lehrgänge fanden dann einen Abschluß in einem Abend, der den schönen Namen "deutscher Abend" trug. Bei einem vorbereiteten Gespräch für die Feier des 9. November hörte ich die Parolen, wie alles zu handhaben sei, und dabei stellte ich an mir selbst fest, daß ich so etwas nicht könnte. Hier habe ich eine für mich im nachhinein glückliche Entscheidung getroffen und die Zusammenarbeit abgelehnt. An anderer Stelle geschah es ganz anders.


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