- 216 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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Später hörten wir dann Berichte aus dem Kultusministerium, die wenig erfreulich waren. Es waren Gespräche, die man in den Vorzimmern der Dezernenten hören konnte. Gespräche, in denen sich gewisse Leute ihrer Heldentaten rühmten in Bezug auf den Umgang mit sogenannten Staatsfeinden. Der Schrecken kam uns damit etwas näher.

Um die Situation noch etwas zu charakterisieren, möchte ich erwähnen, daß ich trotz der Devisensperre 1935 Geld bekam, um nach Schweden zu reisen, wo ich eine Chorreise organisieren sollte.

Hier, im Ausland, führte ich interessante Gespräche, die mir manche der Erscheinungen deutlicher machten, Erscheinungen, die ich vorher nicht so gesehen hatte.

Das betraf die Judenfrage. Die Schweden sind in diesen Punkten ja immer sehr liberal gewesen. Für mich war diese Liberalität in der Art unbekannt. Bis dato. Dann gab es natürlich politische Ereignisse von erschreckendem Format. Ich denke an die Röhm-Affäre.

Als ich 1936 in der Schweiz war, las ich dort ein Buch, in welchem aufgezählt wurde, wer alles bei dem sogenannten Röhm-Putsch umgekommen war. Der Kreis wurde gegliedert in die persönlichen Feinde, in die politisch Andersdenkenden und in die zufällig dabei Umgekommenen. Ich habe dieses Buch zunächst mit Staunen gelesen und wollte die dort geschilderten Tatsachen nicht recht glauben. Ich führte damals in der Schweiz einen Lehrgang für Laienspiel und Tanz. Den Tanz führte mein Freund Albrecht Gaupp an. Wir spielten den zweiten Teil von Shakespeares "Wintermärchen". Am Schluß dieser Aufführung kam es zu einem Gespräch mit den Leitern der verschiedenen Theaterverbände in der Schweiz. In diesem Zusammenhang wurde ich gefragt, ob man denn diese Dinge, wie sie jetzt von uns in dem Lehrgang durchgeführt worden waren, in Deutschland noch machen dürfe. Wieder war ich voller Erstaunen und sagte: "Ich mache in Deutschland genau dasselbe, ungestört."

Das ist ja immer so, daß auch ein totalitärer Staat nicht alles torpedieren kann. Bis er wirklich total durchgreift, bis in die kleinsten Winkel seines Staatswesens gelangt, muß sehr viel Zeit vergehen. In den Anfangszeiten des "Dritten Reiches" gab es in dieser Hinsicht noch viele Freiräume.

Trotzdem muß ich bekennen, daß man mit den Zugeständnissen oder Etikettierungen, von denen ich oben gesprochen habe, jeweils immer


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