- 198 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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überdrüssig war, es als einen Leerlaufbetrieb ansah und glaubte, andere Wege suchen und finden zu müssen, um unmittelbar den Menschen in Bezug zur Musik zu bringen. So ist Zuckmayer in diese Schule am Meer gegangen, er hat immer ein wenig unter diesem Zwiespalt des eigentlich anerkannten Künstlers und des Wirkens in einer solchen Schulgemeinde - ich will nicht sagen gelitten -, aber immerhin daran zu tragen gehabt. Von der Seite Zuckmayers kam nun ein starker Anspruch, die Musik nicht nur als ein Singsang aufzufassen. "Trallalalismus", wie Adorno es genannt hat, war im Musizieren der Schule am Meer nicht anzutreffen, sondern man strebte immer den geistigen Anspruch an, ob nun beim Singen eines Kanons oder einer Kantate.

Zuckmayer selbst hat für den Bedarf komponiert und Texte entworfen. Seine Herbstkantate, die später auch im Druck erschien und in Berlin aufgeführt wurde, war ein Höhepunkt dieses Schaffens.

Natürlich gab es auch einfache, fröhliche Dinge wie Schlager in der Karnevalszeit oder Gesänge mit kabarettistischer Tendenz. Aber das sogenannte schlichte Volkslied, wie es häufig vermutet wird, das gab es in der Schule am Meer zumindest nicht.

Noch etwas zu meinem eigenen Umgehen und Lehren eines Liedes. Ich bezeichne es als ein dialogisches Verhalten, dialogisch in mehrfacher Hinsicht. Der Lehrende sollte selbst einen Dialog mit dem Lied führen, woran sich dann der Dialog mit denen schließt, denen man auf einer pädagogischen Ebene begegnet. Sie sollen dieses Stück begreifen und lernen, wozu es nötig ist, die Situation der Singenden zu verstehen, mit ihnen in Kontakt zu kommen. Das bedeutet auch, daß sie das Lied singen, daß sie beim Singen des Liedes die Struktur des Liedes erfahren und erfassen, daß sie nun in einem dialogischen Verhältnis zu diesem Lied angeregt werden, sich mit dem gesungenen Gegenstand zu befassen, sich in dieses Stück zu verwandeln. Reflexion ist in diesem Falle also ein Mittel, um mit der Musik selber in engsten Kontakt zu kommen. Es wird häufig der Fehler begangen, in der Schule nur Schüler sehen zu wollen, die unterrichtet werden sollen. Man muß sich aber vergegenwärtigen, daß es sich hier um Menschen handelt. Erst dann ist die Persönlichkeit des Einzelnen auch angesprochen.

Die Singbewegung hat ja die Auffassung propagiert, daß das Singen zum Menschen gehöre. Der Mensch sollte zu einem singenden


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