- 197 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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Aber nun klingt das so, als ob der Musikunterricht in der Unterstufe die eigentliche Musikarbeit im Rahmen der Schule am Meer ausmachte. Das war nicht der Fall .

Wenn wir das Thema "Lied" beibehalten, so war ja auch in der singenden Schule, was die Schule am Meer ja auch war, keinesfalls vornehmlich das Volksliedsingen zu Hause. Das Volksliedsingen blieb eigentlich beschränkt, oder ich kann sagen, ausgeweitet auf die Kultur des Kanonsingens. In den offenen Singstunden, die sonntags abends für die gesamte Schulgemeinde stattfanden, wurden entweder Kantatenlieder gesungen, Kantatenlieder, die auch selbst komponiert wurden, die oftmals im Zusammenhang mit einer entstehenden Kantate angefertigt wurden, oder aber es fand Kanonsingen statt. Hierbei handelt es sich um ein sehr umfangreiches Repertoire, das etwa vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart reichte. Durch dieses offene Singen wurden die Kanons Allgemeinbesitz, und wenn Schüler unter sich sangen, sangen sie Kanons. Es wurde also immer eine geistig anspruchsvolle Musik, eben mehrstimmige Kanons, musiziert.

Natürlich gab es auch einen Chor, oder wie man das nun zünftig nannte, einen Singkreis, und dort wurden Chorsätze von Schütz bis Bach und bis Hindemith gesungen .

W.: Also gehörte Musik der Gegenwart durchaus zum Repertoire?

S.: Zumindest Hindemith wurde gesungen. Mein erster musikalischer Eindruck in der Schule am Meer war, daß man die Gäste zu einem Pfingsttreffen mit Hindemiths " Frau Musika" begrüßte. Und es war unerhört beeindruckend für mich, wie in dieser Dünenlandschaft, die durch das Fenster zu sehen war, nun plötzlich vom zehn- oder sechsjährigen Schüler an bis zum Leiter der Schule alle Lehrer und das Küchenpersonal Hindemiths Kantate "Frau Musika" sangen.

W.: Sind daneben auch andere zeitgenössische Komponisten aufgeführt worden?

S.: Vor allen Dingen muß ich den Hauptmusiker der Schule nennen. Es war Eduard Zuckmayer, der Bruder des Dichters Carl Zuckmayer. Zuckmayer war ursprünglich Pianist von hohem Rang und in Mainz auch als Dirigent tätig gewesen. Er hat aus Neigung seine Konzerttätigkeit aufgegeben, um in dieser Schulgemeinde wirken zu können. Es war ja ein Zug der Zeit, daß man in Kreisen der Singbewegung und Jugendbewegung des Konzertlebens weitgehend


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