- 188 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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Heutigen Tages lauscht man vielfach mit bewunderndem Staunen den überzeugenden Folklore-Gruppen aus südosteuropäischen Ländern. Die JMB suchte nach den Goldmünzen musikalischen Volksgesanges und fand die Spuren des "echten", wahren Volksliedes. Walther Hensel lehrte in großer Strenge Gutes und weniger Gutes zu unterscheiden. Auch auf diesem Felde kam es zu einer Zusammenarbeit mit der Forschung, der Volksliedforschung. Die Besinnung und der Umgang mit dem Volkslied lockte wiederum zu Neuschöpfungen, zu Begleitsätzen mit der Laute, zur einfachen Mehrstimmigkeit, zur Liedkantate. Man suchte nach Liederversen und Melodieformungen, die auch bestimmten sozialen Gruppen gerecht werden konnten. Darüber hinaus scheuten sich Komponisten von Rang nicht, Variationswerke, auch in der cantus firmus-Technik, nach mittelalterlichen Weisen und neueren Liedern zu komponieren, allen voran Paul Hindemith.

Indessen so erfolgreich wie bei Béla Bartók und Zoltan Kodály erwies sich die Bemühung bei der Volksliedforschung in unseren Breiten nicht. Bartók gewann aus den Erkenntnissen der melodischen Substanzen südosteuropäischen Liedgutes entscheidende Stilmittel für seine Kompositionen. Kodály forderte und entwickelte auf der Grundlage des Volksliedergutes seines Landes das System einer Musikerziehung und die Grundsätze für eine Kunstmusik, die - das ist keine Frage - über seine Landesgrenzen hinaus Bedeutung gewonnen hat.

Die JMB fand sich besonders in der Aufbruchzeit im schlichten Singen von Volksliedern bestätigt. In der "zweiten Wirklichkeit" (Wiora) des Chorsatzes oder der Instrumentierung gewann die Liedüberlieferung neues Leben. Mir scheint, daß gegenwärtiges Singen eine dritte, aber auch zweifelhafte Wirklichkeit aufschließt, nämlich im Sinne von "play-Volkslied".

Man sollte die JMB nicht isoliert vom allgemeinen Musikleben der zwanziger Jahre sehen. Ohne eine Zeitanalyse geben zu wollen, muß doch von wachsendem Kulturpessimismus damals gesprochen werden. Besonders dem Konzertleben gab man keine Zukunft mehr. Die JMB ihrerseits lehnte jede Art gesellschaftlich veräußerlichten Konzertbetrieb ab. Die heutige Massenbeeinflussung mit Musik jeglichen Vorkommens durch die Medien, aber auch im anspruchsvollen Sinne von "Bach für jedermann", war nicht vorauszusehen. Wer ahnte schon ein


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