- 107 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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dem alten Drachen wiederholt sich auf anderer Ebene in der nun folgenden Doppelfigur mit Nachsatz. (Die Darbietung einer Fuge erlaubt keine subjektive Nuancierung. Der Singende muß sich in die Ordnung der Töne fügen. Nur das einordnende Nachvollziehen, oder besser Mitvollziehen der vorgezeigten Tonbewegungen kann das klangliche Gebilde durchhörig machen. Eine von außen aufgesetzte Ausdruckssteigerung verdirbt es.) Es handelt sich um eine Doppelfuge, fünfstimmig, also um ein Stück mit zwei Themen. Das erste Thema, aus dem Anstoß der Worte gewachsen, Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, ist ein Gebilde vollkommener Schwerelosigkeit. Sie muß erhalten bleiben, so dicht das Gewebe auch wird. Wenn die fünf Stimmen ihr Thema angebracht haben, setzt das zweite Thema wortgebunden ein, so anders Gottes Geist in euch wohnt. Man kann das erste und zweite Thema zu einem einzigen zusammenfügen, also beide Themen als eine zusammengehörige Melodie musizieren. Dann ist das erste wie ein Aufgesang, das zweite wie ein Abgesang. Das zweite Thema in seiner kurzen Gliederung setzt viel schneller hintereinander ein als das erste. Danach werden in elf Takten das erste und zweite Thema übereinander geschichtet. Das sprachliche Ineinanderverwirktsein von Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich mit den Worten so anders Gottes Geist in euch wohnet entspricht der melodisch kontrapunktischen Verarbeitung. Den beruhigenden akkordlichen Schluß in euch wohnet kontrastiert ein äußerst leidenschaftlicher Nachsatz. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein. Der Nachsatz weist die Art und Weise auf, wie sie aus der Zeit von Heinrich Schütz überliefert ist. In drei Wellen vollzieht sich der Ablauf. Jede Welle ist in sich dreigegliedert. Die drängende Bewegung zu den Worten Wer aber Christi Geist nicht hat wird zweimal beantwortet mit der ist nicht sein. Das erste Mal ist die Antwort abschließend, das zweite Mal wird der Klang so in die Höhe gehoben, daß man an die Echowirkung aus dem ersten Chorsatz der Motette erinnert wird. Es tönt zurück aus dem Deckengewölbe der Kirche. Die dritte Welle gewinnt bereits abschließenden Charakter. Ihre zweite Antwort der ist nicht sein kommt nicht mehr aus der Höhe, sie leitet vielmehr hinüber zu den beiden Abschlußakten, in denen die Baßstimme wer Christi Geist nicht hat singt, während die Oberstimmen gleichzeitig der ist nicht sein verkünden. Phrasenansätze beginnen jeweils mit dem Anruf einer Stimme, so wie es auch bei Schütz üblich war. Eine Stimme


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