- 106 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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eines klanglich so hellen Gebildes unterstützt die Lockerheit der Stimmführung. Dem Inhalt der Worte wird im Sinne der "Musik aus der Sprache" nachgesungen. Es handelt sich also nicht um einen Satz, in dem Tonbewegungen symbolisieren, sondern ganz im Sinne einer Schützschen Motettenkomposition wird dem Bedeutungsgehalt entsprochen. Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christo Jesu, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes, so lautet der zweite Römervers des 8. Kapitels. Die Linienführung bekommt in ihrem Zusammenklang bei den Worten der Sünde und des Todes den Charakter ausdrucksstarker Empfindung. Der Alt fällt in die Tiefe, der Sopran steigt in die Höhe, und ein verminderter Dreiklang ist beim Wort "Tod" erreicht. Aber diese Stelle nimmt dennoch nicht dem Gebilde die Entrücktheit von der Erdenschwere.

Im schärfsten Kontrast dazu beginnt die Choralvariation der dritten Strophe des Chorals "Jesu meine Freude". Mit barocker Lust ist in dieser Variation musikalisch alles angehäuft, um Furcht, Trotz und Todesrache Klang werden zu lassen, wenn auch der Stropheninhalt auf die Geborgenheit des Christenmenschen hin will. Erstmalig treten Unisonoführungen auf. Fünf Stimmen singen einstimmig Trotz dem alten Drachen, um anschließend das Trotz in der für die damalige Harmonik scharfen Akkordballung eines Sekundakkordes hinauszustoßen. Die Tonbewegung entfesselt sich in der Baßführung bei dem Wort "tobe". Der Baß bleibt auch in Führung bei den Worten Erd und Abgrund muß verstummen. Nicht das Verstummen trägt musikalisch die Stelle, sondern es geht darum, den Abgrund zu verdeutlichen. Erst in den letzten acht Takten wird das Brummen von Erd und Abgrund klanglich nachgeraunt. Es ist, als ob sich der Teufel selbst murrend zurückzieht. - Der Satz enthält Kontraste durch die sanften melodischen Wellen in Parallelführung bei Gottes Macht hält mich in acht und durch den Orgelpunkt bei dem Worte Ruh. Also in diesem Satz zeigt sich Bach vor allem als Komponist seiner Zeit, der mit barocker Phantasie das Abgründige sinnenhaft zu machen sucht. Bei dieser Musik gerät der Ausführende in Gefahr, sich an den Klangmassen eher zu berauschen als zu begreifen, wie hier eine entsetzende Wirklichkeit musikalisch Ausdruck finden möchte.

Der Kontrast zwischen dem luftigen spirituellen Gebilde des Terzetts über den Text Denn das Gesetz und der Choralvariation Trotz


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