- 104 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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In unserem Beispiel kann dabei nachgewiesen werden, mit welcher Feinheit Bach dem Verhältnis von Wort und Ton nachgeht. Dafür stehe der Vergleich des ersten Motettensatzes, mit seiner verkürzten Wiederkehr am Schluß. Im homophonen Stil voll akkordischer Pracht setzt der Chor mit den Worten ein: Es ist nun nichts. Danach folgen zwei Grundschläge Pause, so daß man meinen könnte, es wäre wirklich nichts. Wieder erklingt das Wort "nichts", dieses Mal in der Spannung eines dominantischen Quintsextakkordes. Nach weiteren drei Grundschlägen Pause verbindet sich die Negation endlich mit dem Sinnwort "Verdammliches". Es ist wahrhaftig nicht einfach, den Sinnzusammenhang am Anfang zu erfassen. Was ist gemeint? Nach den ersten vier Akkorden tönt das zweite "nichts" echohaft. Von der Höhe der entferntesten Deckenwölbung - das muß die Idee sein - tönt es als Antwort zurück, und diese Antwort schwingt mit in die Fortsetzung: Nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind. Die ersten acht Takte wiederholen sich im Echo. Wenn das in der praktischen Ausführung auch nur bedeutet: Capellchor und Favoritchor, so meint es im musikalischen Sinne doch Einbeziehung des Raumes, Fernwirkung und im geistigen Sinne: Antwort von oben. Nur ein ungemein horchendes Singen kann der Echoabsicht gerecht werden. Die Entsprechung in dem abgewandelten Satz verzichtet aber auf die Echowirkung. Allein der Sprachsinn prägt die ersten acht Takte: So nun der Geist, ... Sofort geht es im Stile erklingender Sprache neun Takte weiter. Eine kühne harmonische Rückung leitet die zweite Zeile ein. Auf das H-Dur in Takt 8 folgt aufgelichtet nach G-Dur der Einsatz der Worte: So wird auch derselbige, der Christum von den Toten auferwecket hat, eure sterblichen Leiber lebendig machen. Die Echowirkung im ersten Satz symbolisiert das Gespräch mit Gott, der Tonartenwechsel im Parallelsatz bewirkt den Eindruck der Verwandlung, das Lebendigwerden im Geist.

Wir kehren zum ersten Satz zurück. Nach den ersten zwei Zeilen, acht Takte Aussage und dieselbe Aussage acht Takte im Echo, wechseln die Stilmittel. Ein Fugato durch fünf Stimmen bei ausgreifender Linienführung benutzt die Worte: die nicht nach dem Fleische wandeln. - Dieses siebzehn Takte währende Fugato, das in einem Sekundakkord endet, löst sich in drei akkordischen Takten mit den Worten: sondern nach dem Geist. In jedem Chorfugato wird die Sprache von Tonbewegungen überwuchert, die Worte gehen zumeist unter. Das


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