- 103 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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Logik bei Vogler. Allerdings veröffentlicht er die Sätze ohne Worte und da liegt der Schlüssel für die Bachschen durchgestalteten Fassungen. Durch diese Sätze werden die Strophen eindrucksvoll, erregend; ihr Inhalt gewinnt unverwechselbare Zeichen, die auf den Wahrheitsgehalt hinweisen, Sinnbezüge werden offenbar.

Die Harmonik ist am spannungsreichsten im zweiten Choralsatz, in dem siebzehn Septimenakkorde, vor allem in den Umkehrungen, vorkommen, während der erste schlichte Satz viermal die Septimenspannung in drei Quintsextakkorden und einem Sekundakkord aufweist. In der bewegten Linienführung des dritten Satzes entstehen sechzehn Septimenakkorde.

Nach dem ersten Choral hebt der große motettische Satz über den Römervers 1 an: Es ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist.- Diese Chorkomposition kehrt, verkürzt und abgewandelt, vor dem Schlußchoral wieder. Also ist eine gewisse Gleichgewichtigkeit beim Anheben und beim Beschließen der Motette vorhanden. Am Schluß steht nunmehr Römer 8, Vers 11: So nun der Geist des, der Jesum vonden Toten auferweckt hat, in euch wohnet, so wird auch derselbige, derChristum von den Toten auferwecket hat, eure sterblichen Leiber lebendigmachen um des willen, daß sein Geist in euch wohnet. - Also zwei verschiedene Texte zu einer gleichen, wenn auch abgewandelten Musik. Hat die Bachsche Musik hier eine solche Indifferenz , daß man ihre womöglich auch andersgeartete Texte unterlegen kann? Es gibt von Bach selber Beispiele des Parodieverfahrens, Sätze aus geistlichen Kantaten tauchen in weltlichen wieder auf und umgekehrt. Hat er es also mit den Beziehungen zwischen Wort und Ton nicht so ernstgenommen? Man könnte folgern:

Wenn Bach vielfach die Sprache nur als "Zeichen für Sinnbezüge" ansieht, also ihr nicht direkt nachgeht, die Musik eigenständig macht, ist dadurch nicht besonders angeboten, zunächst die Worte fallen zu lassen, dann aber die Sinnbezüge zu vergessen, den Symbolwillen außer acht zu lassen und seine Musik als l'art pour l'art zu genießen oder mit anderen Inhalten anzufüllen? Diese Frage bedürfte einer längeren Untersuchung, die hier nicht ansteht. In den Römerversen 1und 11 zielt der Sinn offenbar auf das Gleiche.


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