- 100 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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ihre Sinnbezüge durch die Textanstöße, sie werden Mittel für das, was Bach hörbar machen will. Besonders die Vielfalt der Formen ist diesem Gestaltungswillen zugeordnet. Choralsatz, motettischer Satz, Chorfuge, Trio, c.f. Satz, sind in ihrer Anwendung und jeweiligen Stimmenbesetzung symbolhaft zu verstehen. Die Vielfalt der benutzten musikalischen Mittel ist außerordentlich. Man kann auch heute noch vor ihr erschrecken und zugleich darin die Größe der Gestaltungskraft erkennen. Zeitgenossen Bachs lehnen sich gegen ihn auf. Der einflußreiche Adolf Scheibe, seit 1736 in Hamburg ansässig, schreibt in seinen Blättern "Der critische Musicus":

"Dieser große Mann würde die Bewunderung ganzer Nationen sein, wenn er mehr Annehmlichkeit hätte und wenn er nicht in seinen Stücken durch ein schwülstiges und verworrenes Wesen das Natürliche entzöge und ihre Schönheit durch allzu große Kunst verdunkelte ... Alle Manieren, alle kleinen Auszierungen und alles, was man unter der Methode zu spielen verstehet, drücket er mit eigentlichen Noten aus, und das entziehet seinen Stücken nicht nur die Schönheit der Harmonie, sondern es machet auch den Gesang durchaus unvernehmlich ..."

Ein Schlüssel zum Wesen der Bachschen Motettenkomposition ist die Beachtung der Erkenntnis über das Wort-Tonverhältnis, wie sie wesentlich durch Arnold Scherings und Albert Schweitzers Untersuchungen gefördert wurde. In ihrer Nachfolge veröffentlichte Hans Hoffmann 8 eine Studie: Schütz und Bach, zwei Tonsprachen und ihre Bedeutung für die Aufführungspraxis. (Hans Hoffmann wirkte ab1926 an der Pädagogischen Akademie in Altona einige Jahre als Musikdozent. Er verstarb vor wenigen Jahren als Musikdirektor von Bielefeld.) Seine Studie enthält eine einleuchtende und leicht zu handhabende Begrifflichkeit. Er unterscheidet:

1. Musik der Sprache.
Gemeint ist: Wo Sprache zum Singen angehoben wird, wo sie in ihrem Klangleib und in der Sinngliederung erhalten bleibt, wo der Ton ihr besondere Leuchtkraft gibt, also "Erklingen und Bedeutung zusammenfallen", handelt es sich um Musik der Sprache,

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1936.


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