- 88 -Strack, Jan: Musikwirtschaft und Internet 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (87)Nächste Seite (89) Letzte Seite (127)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Vor diesem Hintergrund entwickelt sich das Phänomen des »Filesharing«. Die Menschen stellen ihre Musikdateien mit der gleichen Selbstverständlichkeit umsonst in den Tauschbörsen zur Verfügung, wie sie zuvor Kochrezepte in den BBS tauschten oder an den Diskussionsforen des Usenet teilnahmen. Dies macht allerdings lediglich die Anfangsphase von Filesharing verständlich und reicht nicht aus, um den ungeheuren Siegeszug von Napster und seinen Nachfolgern zu erklären.

Hierzu muss ein anderes Phänomen herangezogen werden, das seine Ursache in der immer mobileren Lebensweise der Menschen, den immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen sowie einer immer größeren Auswahl an Konsum- bzw. Freizeitgütern, die um die begrenzte Aufmerksamkeitsspanne der Konsumenten konkurrieren, hat. Daraus resultiert Schnelllebigkeit, gar eine Wegwerfmentalität, Mobilität und Flexibilität – Lebensumstände und -konzepte, die es bequemer und angemessener scheinen lassen, einen schnellen und unkomplizierten Zugang zu Gütern zu haben als Dinge auf Dauer zu besitzen.

Jeremy Rifkin spricht daher vom Beginn des »Zeitalters des Zugangs«. Die Auswirkungen dieses neuen Zeitalters zeigen sich auch im Bereich des Tonträgermarktes. Durch eine geradezu inflationäre Veröffentlichungspolitik der Major Companies, kürzere Produktlebenszyklen und eine immer stärkere Orientierung an kurzlebigen Trends scheinen die hohen Preise für eine CD immer weniger gerechtfertigt. Gleichzeitig kann der Käufer auf Grund des beschränkten Budgets mit der Vielzahl gleichwertiger und gleichzeitig bzw. in kurzen Abständen erscheinender Produkte im Konsum mit dem Markt kaum Schritt halten. Hieraus resultiert eine Orientierungslosigkeit hinsichtlich des erhältlichen Repertoires und eine Beliebigkeit in Hinblick auf den konkreten Tonträger, die in einen Wertverfall der Musik mündet.

»Die Krise des Angebots [...] hat zwei Erscheinungsformen: Einerseits ist Musik in einem Ausmaß unübersichtlich geworden, dass die Zielgruppe sehr damit beschäftigt ist, zu finden, was sie sucht. Und suchen ist anstrengend, macht mürbe und launisch und kostet das Teuerste unserer Epoche: Zeit. Andererseits, und das ist die Ursache des Einerseits, ist das Angebot von so beliebiger Austauschbarkeit, von so endloser Differenzierungsarmut, dass den Zielgruppen ein schleimiger ›Ohrenkater‹ an den Ambossknöcheln wächst [...].«3

3
Becker, Andreas und Ziegler, Marc: Ein Überlebensmodell für die Musikindustrie – Napster und die Folgen. S. 11

Die abnehmende Bereitschaft, für Musik zu bezahlen, ist aber nur ein Teil der Erklärung des Phänomens »Filesharing«. Der Zugang zur Musik durch Filesharing ist nicht nur umsonst. Er ist darüber hinaus auch wesentlich bequemer als die Frequentierung des traditionellen Tonträgerhandels. Darüber hinaus sind die verfügbaren MP3-Dateien keineswegs mehr nur auf den PC beschränkt. MP3-Dateien können mittlerweile auf Stereoanlagen, in HiFi-Systemen für Autos und auch auf tragbaren Geräten abgespielt werden.

Zusammenfassend kann man daher sagen, dass sich Filesharing auf Grund von vier Faktoren so stark durchgesetzt hat: Die Musik ist kostenlos, der Zugriff einfach, das Angebot umfassend und die Abspielbarkeit der MP3-Dateien flexibel.

Dabei hat die Verbreitung von MP3-Dateien längst eine kritische Masse erreicht, d. h. die weitere Verbreitung wird durch positives Feedback nahezu selbstständig


Erste Seite (i) Vorherige Seite (87)Nächste Seite (89) Letzte Seite (127)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 88 -Strack, Jan: Musikwirtschaft und Internet