5.5. Tauschbörsen und »Rational Choice«
Bei näherer Betrachtung der Filesharing-Netzwerke und ihrer Teilnehmer stellt sich
die Frage, wie erstere aus soziologischer Sicht funktionieren können. Nach der
»Rational-Choice-Theorie« wäre zu erwarten, dass die einzelnen Teilnehmer lediglich
MP3-Dateien herunterladen, jedoch nicht selbst an der Wertschöpfung teilnehmen,
indem sie MP3-Dateien in das Netzwerk einspeisen.
»Die RC-Theorie (Theorie des rationalen Handelns) geht in ihrer allgemeinsten
Form davon aus, dass Individuen rationale Akteure sind, die zwischen ihnen
zur Verfügung stehenden und von ihnen wahrgenommenen Handlungsalternativen
diejenige auswählen, die mit dem höchsten subjektiv erwarteten Nutzen verknüpft
ist«31
Haug, Sonja und Weber, Karsten: Kaufen, Tauschen, Teilen. S. 25
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Gesteht man dem einzelnen Teilnehmer eines Filesharing-Netzwerkes die
Eigenschaften eines »Homo oeconomicus« zu, was auf Grund seiner weiter oben
beschriebenen Rolle als Wertschöpfer durchaus gerechtfertigt scheint, so ist
davon auszugehen, dass er als Produzent bzw. Anbieter beabsichtigt, seinen
Aufwand zu minimieren. Als Konsument hingegen ist er bestrebt, seinen Nutzen zu
optimieren.32
Vgl. Artikel »Handlungstheorie«. In: Lexikon der Geographie. Spektrum Verlag. Heidelberg
2001. http://www.xipolis.de [Stand: 10.03.2003]
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Demnach wäre zu folgern, dass der einzelne Teilnehmer eines Filesharing-Netzwerkes
keine MP3-Dateien in das Netzwerk einspeist, sondern lediglich an den Dateien der
anderen teilhaben möchte. Dies würde in letzter Konsequenz dazu führen, dass
niemand MP3-Dateien zur Verfügung stellt und das Netzwerk nicht funktionieren
kann.
Filesharing-Netzwerke weisen somit Charakteristiken eines sozialen Dilemmas auf, da
ein »Trittbrettfahrerproblem« existiert. Es gibt den Anreiz, von der Möglichkeit
Gebrauch zu machen, Güter (MP3-Dateien) anzunehmen, ohne eine Gegenleistung zu
erbringen.33
Vgl. Haug, Sonja und Weber, Karsten: Kaufen, Tauschen, Teilen. S. 37
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»Am Beispiel von Napster kann gesehen werden, dass ein Kooperationsproblem
besteht. Jeder Teilnehmer hofft, dass einer der anderen Teilnehmer auf Anfragen
antwortet und bereit ist, die gewünschten Dateien freizugeben. Antworten auf
Suchanfragen und einseitiges Nehmen erfolgt bei dieser Tauschbörse, ohne
dass eine Gegengabe erforderlich ist.«34
Das Trittbrettfahrerproblem kann am Beispiel der Tauschbörse »Gnutella« sehr gut
analysiert werden. Bei der Überwachung von 34902 Tauschvorgängen in einem
24-Stunden-Zeitraum stellte sich heraus, dass 50 Prozent aller Anfragen von
den gleichen Personen (ca. 1 Prozent der Teilnehmer) beantwortet werden.
Fast 90 Prozent der Teilnehmer antworten auf keine Anfrage nach einem
Musikstück.35
Diese Werte sind natürlich zu hinterfragen, denn es kann nicht festgestellt werden, ob die
90 Prozent, die nicht antworten, die nachgefragten Titel wirklich nicht freigeben wollen
oder ob sie diese gar nicht besitzen. Es wird jedoch deutlich, dass