- 64 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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verstandes,  um ihnen eine veränderte Tendenz abzuzwingen oder, in den gelungensten Fällen, ihre latente Sprache zu erwecken. Kraftlos ist sie jedoch insofern, als sie die Elemente selbst nicht aufsprengt. Gerade ihr wäre ein Rest von willfährigem Irrationalismus vorzuwerfen, Adaptation an das von außen dem Gebilde fertig gelieferte Material." 57) "Der Schein der Kunst, durch Gestaltung der heterogenen Empirie sei sie mit dieser versöhnt, soll zerbrechen, indem das Werk buchstäbliche, scheinlose Trümmer der Empirie in sich einläßt, den Bruch einbekennt und in ästhetische Wirkung umfunktioniert. Kunst will ihre Ohnmacht gegenüber der spätkapitalistischen Totalität eingestehen und deren Abschaffung inaugurieren. Montage ist die innerästhetische Kapitulation der Kunst vor dem ihr Heterogenen. Negation der Synthesis wird zum Gestaltungsprinzip. ... Damit beginnt Kunst den Prozeß gegen das Kunstwerk als Sinneszusammenhang." 58) Für Adorno ist Montage eine ästhetische Technik minderen Ranges, weil sie auf Kohärenz der Erscheinung und des Sinns - der auch ein negativer sein könnte - verzichtet. Als "bestimmte Antithese zur Empirie" 59) sei die Montage untauglich, da ihr Gefüge nicht gegen die Wirklichkeit lückenlos abgedichtet sei. Die Grundlage der Adornoschen Montagekritik ist ein gedanklicher Zirkelschluß: daß das Montageprinzip die Idee des autonomen Werks kritisiert und von ihr sich abstößt, da Montage nicht auf ästhetische Produktion im Sinne einer "bestimmten Antithese zur Empirie zielt, sondern stattdessen im Sinne einer in die Empirie eingreifenden gesellschaftlichen Praxis, gehorcht sie nicht den Forderungen, die Adorno, ausgehend eben gerade vom Begriff des autonomen Werks, verallgemeinernd an jede künstlerische Produktion stellt - und so verfällt die Montage Adornos Verdikt, sie habe den kritischen Impuls von Kunst gegenüber der Gesellschaft aufgegeben und verraten. Festgelegt auf autonome Kunst, kann Adorno dem Montageprinzip, das die Kunstautonomie ja gerade überwinden helfen soll, nicht gerecht werden. Löst man Adornos Bestimmungen der Montage von seinen Wertungen, so erweist sich der Montagebegriff als treffende Kategorie zur Beschreibung weiterer Mahlerscher Sinfoniesätze; zu nennen wäre etwa der dritte Satz der Ersten Symphonie, der Kopfsatz der Dritten oder Scherzo und Finale der Fünften, Sätze, ohne die das Scherzo der Neunten Symphonie, für das auch Adorno den Begriff der Montage zuläßt, nicht denkbar wären. Adorno nähert sich diesen Sätzen mit traditionellen termini wie "Kontrapunkt" oder "Polyphonie". Mahlers eigene Vorstellung von Polyphonie, die mit dem herkömmlichen Begriff aus der Musiklehre wenig gemein hat, verdeutlicht Adorno an einer von Natalie Bauer-Lechner überlieferten Episode: angesichts einer Festwiese, auf der neben dem Jahrmarktslärm gleichzeitig Musik von mehreren Kapellen und einem Gesangsverein zu hören war, habe Mahler ausgerufen, eben das sei ihm Polyphonie, genau so, von verschiedenen Seiten gleichzeitig, müßten voneinander vollkommen verschiedene Themen herkommen, um dann vom Künstler zu einem Ganzen geordnet und vereint zu werden. "Mit Polyphonie meinte er (d.h. Mahler) offenbar jenen Hang zum chaotisch-unorganisiert Tönenden, zur regellosen, zufälligen Gleichzeitigkeit der 'Welt', deren Echo seine Musik durch ihre kümstlerische Organisation hindurch werden will." 60) Doch in Adornos Darstellung geht dieser abweichende Begriff von Polyphonie kaum ein; er bleibt der traditionellen Idee von Kontrapunktik verbunden. Von dieser ist allerdings Mahlers "Polyphonie", die sich die zufällige Simultaneität heterogener akustischer Ereignisse, wie sie in der


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