- 48 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Komponist geblieben..., der real außerhalb des Raumes der ästhetischen Autonomie steht und mehr noch: dessen Musik wahrhaft und von lebenden Menschen, nicht von ausgerichteten Wandervögeln gebraucht werden könnte." 46) "Mit der verdinglichten Musik hat er (d.h. Mahler) in Strenge es zu tun; in solcher Strenge nun, daß sie darüber zerspringt. Ihre Trümmer und die Trümmer der ihnen gesellten Gefühle sind sein Material; über sie disponiert planvoll mächtig die symphonische ratio. Die gesprengte Dingwelt vermöge ihrer eigenen produktiven Tendenzen in eine menschlich-unmittelbare zu transponieren: das ist sein Wille, und die improvisatorische Variante kommt eher der realitätskundigen, doch veränderungsbereiten Aktion gleich als der neuklassisch totalen Stilabsicht, die leicht genug alles Bestehende negiert, um es bequemer bestehend zu erhalten." 47) Im frühen Text wird der destruktive Impuls von Mahlers Musik eindringlich herausgearbeitet: Mahler zerstöre die verdinglichte Musik, um aus ihren Scherben eine neue, "menschlich-unmittelbare" zu konstruieren, eine Art von Musik, die jenseits des Elfenbeinturms autonomer Kunst einen Gebrauchswert besitze für gesellschaftliche Praxis. Im späteren Text dagegen wird der Impuls zum Zerbrechen verkleinernd umgedeutet zur "Gebrochenheit", die Adorno als "Leiden an Entfremdung" bestimmt. Der frühe Adorno beschreibt Mahlers destruktiv-konstruktives Komponieren als Aktivität eines Subjekts, das handelnd in den geschichtlich-gesellschaftlichen Prozeß einzugreifen und ihn nach menschlichem Maß zu verändern sucht, während der spätere Adorno eben dieses Komponieren als Ergebnis des vom Subjekt erlittenen geschichtlich-gesellschaftlichen Prozesses auffaßt, als Kryptogramm der Gewalt und Inhumanität, die die Gesellschaft den Individuen antut. So ist der Blickwinkel, aus dem Adorno in der Studie von 1960 die Musik Mahlers betrachtet, um vieles enger als der der früheren; die radikale Offenheit zum Gegenstand, die die "Marginalien" auszeichnet, ist in der späteren Arbeit aufgegeben. Der "physiognomische Blick" scheitert in ihr an der Geschlossenheit, am Systemcharakter der Adornoschen Geschichtsphilosophie, die im vorhinein den Gang der Betrachtung lenkt und dem Blick immer wieder das freie, neugierige Schweifen über alle Seiten des Gegenstandes verwehrt.


Den mitunter gewaltsamen Zug in Adornos Mahler-Deutung möchte ich an einigen Beispielen verdeutlichen:


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