- 49 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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1. Zum Abschluß der Posthornepisode im dritten Satz der Dritten Symphonie (Bsp. 1) heißt es bei Adorno: " Beim zweiten Auftritt des Posthorns aber horchen, nach Mahlers Vorschrift, die Geigen diesem nach; als schüttelten sie den Kopf darüber. Indem sie das Unmögliche des Geschmacks reflektieren, der auf seinem Urteil: Kitsch besteht, bejahen sie die Möglichkeit, das Versprechen, ohne das keine Sekunde sich atmen ließe." 48) Hans Heinrich Eggebrecht hat in seinem Mahler-Buch dieser Interpretation ebenso entschieden wie schlüssig widersprochen. Seine Ausführungen seien daher hier zitiert: "In dieser Aussage ist Adornos Mahler-Interpretation wie in einem Brennpunkt versammelt. Ihr Ausgangspunkt ist hier jedoch - wie mir scheint - eine an Vergewaltigung grenzende Willkür gegenüber der Musik, ihrer Intention und ihrer Wirkung. Denn daß die Geigen über die Posthornweise den Kopf schütteln (und damit zum Ausdruck bringen: unmöglich! - Kitsch), widerspricht erstens dem, was da in den Noten steht: die Violinen singen in zartester, terzenseliger Geigenschönheit die schönste Stelle der Posthornweise nach - wo, um alles, ist da ein Kopfschütteln?; zweitens widerspricht das Kopfschütteln der Wirkung dieser Stelle, die im Reden über Mahler wesentlich erst seit Adorno ihre unmittelbare Verzauberung einbüßte ...; und drittens widerspricht das Kopfschütteln der Intention Mahlers, der ... das Posthornblasen mit Sicherheit nicht als banal oder kitschig empfand, vielmehr - wie die Erfindungsart seiner Posthornweise es ausweist - als einen Inbegriff unberührter Schönheit. ... (Für Adorno) m ü s s e n die Geigen den Kopf schütteln, weil in einer deformierten Gesellschaft keine ungebrochene, sondern nur eine mißlungene Schönheit möglich sein kann. ...das Posthornblasen, an das Mahler anknüpft, galt ihm gewiß nicht als `erniedrigter und beleidigter Musikstoff', sondern als Inbegriff ungebrochener Naturschönheit, Stoff zum Fertigen des `Anderen'. Nicht `erbarmt' er sich solchen Blasens, sondern er benutzt es, ahmt es nach, formt es zur Vokabel, zur Naturlaute-Musik, die das `Andere' benennt, indem sie gegenüber der Kunstmusik selbst anders ist. Nicht ist diese vokabulare Musik Unkunst, sondern eine neue Art von Musik,... Nicht `bricht' stilistisch die eine Musikart die andere, sondern beide zusammen, auch in ihrer Gegensätzlichkeit, sind Mahlers Art von Musik, zu der es gehört, daß sie - in Benennungsakten (...) - mit Arten von Musik so zu arbeiten vermag wie die sonstige Musik mit Themen und Techniken. Nicht verspricht Mahlers Musik eine zukünftige, die anders wäre, sondern sie ist ihre eigene Erfüllung darin, daß sie dem Kriterium des musikalischen Immanenzzusammenhangs als oberstem aufgekündigt hat zugunsten eines Zusammenhangs der Aussage - hierin aller zukünftigen Musik voraus." 49)


2. Das Finale der Vierten Symphonie interpretiert Adorno wie folgt: "... Vollends gebrochen ist das Ende vom Lied der himmlischen Freuden. Nicht nur bescheiden sind jene Freuden wie ein nützliches süddeutsches Gemüsegärtchen, voll von Mühe und Arbeit: `Sanct Martha die Köchin muß sein.' Verewigt sind in ihnen Blut und Gewalt, ... Das Gedicht kulminiert in einer aberwitzigen Christologie, die den Heiland der darbenden Seele als Nahrung serviert und unwillentlich das Christentum als mythische Opferreligion verklagt: ... Die ... Geigenstelle aus der Coda des ersten Satzes aber ... (ist) wie ein lange zurückschauender Blick, der fragt: Ist das alles denn wahr? Musik schüttelt dazu den Kopf; ... Mahlers Theologie ist ... gnostisch; seine Märchen-


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