- 160 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Sonntag: Ich habe die Beurteilung Adornos über dieses Verstummen als ein Stillegen der Zeit im Zusammenhang gesehen mit seiner These der Dynamisierung, also im Zusammenhang mit seiner Beurteilung atonaler Musik überhaupt. Da, wo für Adorno ein kontinuierlicher (gemeint ist damit ein dynamischer) Ablauf der Musik, wie etwa in Beethovens Sinfonien, nicht stattfindet, da wird Musik für Adorno eben "atonal".


D. I: Aber dieser Vorwurf, wenn er überhaupt einer ist, ist nicht der eines bloß Negativen. Denn das moderne Kunstwerk, so schreibt ja Adorno in der "Ästhetischen Theorie", habe zwar in sich die Tendenz zum Verstummen, aber gerade darin liege sein Wahrheitsgehalt.


D. II: Adorno macht mich in der Schärfe seiner Kritik an Webern hellhöriger für das, was in Weberns Musik tatsächlich geschieht. Aber so mache ich dann meine eigenen Erfahrungen mit Webern, die anders sind als bei Adorno. Denn ich habe nie das registrieren können, was als Verstummen bezeichnet wird. Ich erinnere mich sehr deutlich an eine Situation während der Darmstädter Ferienkurse 1958: Bruno Maderna leitete am letzten Abend ein Konzertprogramm, das ganz Webern gewidmet war. Bei den Proben dazu sagte Maderna: "Vergeßt bitte alles, was da ist an Reihen und Reihenkonstellationen, wir machen jetzt Musik." Dieses Musikmachen (auch im folgenden Konzert) war nicht etwa ein Drüberhinweghuschen über Webern, es tauchte vielmehr tief in das ein, was Webern komponiert hatte. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Nichts von Verstummen! Webern klang für mich angesichts der neuesten Produktionen aus dem Jahre 1958 so einfach wie Schubert, verlor nichts an Dynamismus.


Heute ist vielleicht für Webern eine neue, andere Möglichkeit des Verständnisses erwachsen, für eine Musik, die zur Meditation einlädt. Ja sogar zu einer mystischen Meditation, in der alle Zeit zusammenfließt und in einem "Nu" verharrt, in einer Als-Ob-Ewigkeit. Diese Art meditativer Zuwendung zu den kristallinen Dreitongebilden Weberns könnte seine Musik dem Hörer besser aufschließen, so daß all die Schwierigkeiten, die Adorno mit Webern hatte, für mich in diesem Augenblick gegenstandslos werden.


D. III: Das ist dann aber nicht so sehr ein Problem der Webernschen Musik als eines seiner Rezeptionsweise, das heißt, wir müßten nicht bei Webern ansetzen, sondern bei uns selber.


D. IV: In dem Moment, in dem eine Interpretation Webernscher Werke auf der genauen Analyse der Konstruktion fußt (so meine Erfahrung), schlagen die Stücke in der Hörerfahrung um und erklingen eben nicht konstruiert, sondern sie haben einen großen Gehalt an Affekten und Emotionen, weil plötzlich Konstruktion und Affektgehalt zusammenfallen.


D.V: Immerhin meint Adorno, daß Webern der Versöhnung von Ausdruck und Konstruktion sogar näher gekommen sei als Berg. Und das will doch etwas heißen. Denn genau diese Versöhnung, also die Vermittlung von Ausdruck und Konstruktion, aber auch von Natur und Realität, ist ja eines der zentralen Motive in der "Dialektik der Aufklärung". Sie ist für Adorno die höchste Stufe von


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