- 146 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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2) Die Reihen waren so gewählt, daß sie gestaltgleich mit ihrer Krebsumkehrung sind (G 1 = KU 1). An Hand der vorliegenden vier Reihen ergibt sich außerdem, daß sie auch durch Krebsformen miteinander verwandt sind:

        U                     U

  U 4  ---> G 7         G 7  ---> U 4

        X K                   X K

  U 8  ---> G 11        G 11 ---> U 8


Also ergeben die vier Krebsformen die gleichen Reihen.


  U 4  <---> G 7

         X

  U 8  <---> G 11


Die vier Reihen hängen durch Krebs- und Umkehrungsformen zusammen. Daraus resultiert, daß T. 9-16 als Krebs gelesen, die Spiegelklänge der T. 1-8 enthalten müssen (es handelt sich um `dissonanzgleiche' Klänge - die Intervalle stimmen überein). Vgl. Klang 3 und 14: Moll verwandelt sich in Dur. Obwohl die Kanontechnik im strengen Sinn eine zeitlich weiterlaufende ist, verdichtet sie sich hier zu einem zeitlichen Raum.


Das wohl wesentlichste Kompositionsprinzip Weberns, das seine Musik so speziell werden läßt, ist das der Variation. Innerhalb der Anwendung im Bereich der Zwölftonkomposition lassen sich z.B. zwischen Schönberg und Webern Unterschiede in der Auffassung und Ausführung der Variationstechnik ausmachen. Schönbergs Orchestervariationen op. 31 z.B. orientieren sich am Variationsprinzip im traditionellen Sinn: Sie sind Variationen über ein Thema (identisch mit einer Reihe) mit allen Veränderungen und Modifikationen motivischer, rhythmischer, dynamischer und klangfarblicher Art. Bei Webern dagegen verhält es sich anders: "Jeder Reihenverlauf tendiert dazu, Variation zu sein - aber Variation nicht eines `Themas' als Ausgangspunkt, sondern als verschiedene Aspekte eines Wesens, das sich erst aus der Gesamtheit der Aspekte zusammensetzt, aber nicht schon als Verfügbares, als Gesetztes am Anfang vorhanden war. Insofern verändert sich `in der Allmacht der Veränderung', in der `alles musikalisch Erscheinende unterschiedslos als Permutation der Reihe sich bestimmt', doch noch etwas: Der Begriff dessen, was als gesichert gelten kann; der kompositorische Anspruch auf Gültigkeit, der in der Setzung eines `Themas' liegt, wird aufgegeben zugunsten einer Zurücknahme des Selbst hinter das Material und dessen quasi objektive, `pluralistische Formung'." 3) Ich glaube, daß der Ausschnitt aus op. 28 deutlich genug den Unterschied zur traditionellen Variationstechnik veranschaulicht; alles, was sich in den ersten 18 Takten abspielt, ist Variation, Modifikation einer Keimzelle, eines Gedankens, nämlich der zugrundeliegenden Reihe. Variation dehnt sich nicht aus (zeitlich), sondern ist innen, in der Komposition; die Komposition selbst ist Variation. Variation ist mit der Komposition, mit der Struktur des Werkes deckungsgleich.


Gerade am Vergleich von Schönbergs op. 31 und Weberns Variationswerken offenbart sich ein Wendepunkt der Zeitgestaltung von Musik. Die vielgestalteten Metamorphosen eines gesetzten Themas im traditionellen Sinn vollziehen sich im Kontinuum der Zeit; sie dehnen sich aus; sie verbreiten sich in die zeitliche Ebene.


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