Dörfer sind durch eine geringe
Eigenkomplexität und Überschaubarkeit ausgezeichnet. Davon ist das so genannte
globale Dorf weit entfernt. Dieses zeichnet sich durch Komplexität aus. »Komplexität
ist die
Einheit einer Vielheit. [. . . ] Eine Einheit ist in dem Maße komplex,
als sie mehr Elemente besitzt und diese durch mehr Relationen verbindet«
(Luhmann
1997: 136f.). Mit der wachsenden Zahl der Elemente ist keine vollständige
Verknüpfung der Elemente untereinander mehr möglich, sondern nur noch eine
selektive, die verschieden organisiert werden kann. Das Dorf sehe ich – im Sinne
Luhmanns – dominant noch auf der Ebene der
stratifikatorischen Differenzierung
angesiedelt. Gemeint ist damit ein hierarchisch organisiertes System mit festen
Sinnordnungen und zum Teil auch noch Schichtzugehörigkeiten. Es gibt ein definiertes
»oben« und »unten«, mit dem – sagen wir – Dorfältesten oder Bürgermeister
und dem Pfarrer (sowieso) an der Spitze, sogar dem Lehrer, der an diesem
Ort manchmal noch eine gewichtige Rolle spielt, und manchem mehr.
Wer
etwas sagt, ist dabei häufig wichtiger, als
was jemand sagt. Die dörfliche Elite
hat ein Interpretations- und Deutungsmonopol. Räumlich hat das Dorf seine
Örtlichkeiten, vom Marktplatz bis zum Kirchplatz, und der Rest integriert sich
weitgehend übersichtlich in diese räumlich umgrenzte Form ein. Entscheidungen
betreffen wesentlich den lokalen Raum, Irrtümer, sofern sie auftreten, mögen
alsbald hautnah erlebbar und zeitnah revidiert werden. Das Dorf der Gegenwart
ist mehr oder weniger ein Relikt einer sozialen Ordnung, die weitgehend auf
ungleichen Schichten aufbaute, die also stratifikatorisch geregelt war. Im Dorf
überkommener Provenienz hat jeder seinen Platz. Mag der zugewiesene Platz im
territorialen Dorf auch am Rande liegen (ein unverfängliches Beispiel bietet hier die
Comic-Figur Troubadix
aus dem bekannten gallischen, unbeugsamen Dorf), so ist die
(zuweilen fraglos auch disziplinierende oder einengende) Sorge um einen oder die
»Komplettbetreuung« (Fuchs
) noch in irgendeiner, wenn auch differenzierter Form von
der dörflichen Gemeinschaft getragen (auch Troubadix ist trotz seiner allseitig
geschmähten und nicht wohlgelittenen Sangeskunst in seinem Dorf geachtet, und man
ist um sein Wohl im Falle des Falles durchaus besorgt und steht für ihn ein,
wenngleich er in anderen Fällen eine andere »Betreuung« erfährt: festgebunden und
geknebelt wohnt er in der Regel den die Abenteuer beschließenden Feierlichkeiten
bei).
Sicherlich ist diese Beschreibung weitgehend idealtypisch, denn auch das Dorf der
Gegenwart ist von vielfältigen technischen, wirtschaftlichen wie kommunikativen
Einflüssen bestimmt, die auch lokale, dörfliche Einheiten global vernetzen, sodass das
Dorf keineswegs eine so bruchlose, in sich geschlossene Einheit mehr ist, wie
vorgestellt. Gleichwohl ist noch eine überschaubare, vielleicht heimelige Ordnung
aufgezeichnet.
Eine solche Sorgfalt ist dem globalen Dorf nicht gegeben, denn dieses erscheint funktional
differenziert, was heißen soll, dass keine schichtengebundene Hierarchie dominiert,
sondern dass das Dorfleben sich aus sich selbst organisierenden Funktionssystemen
ableitet: Wissenschaftssystem, Politiksystem, Religionssystem, Rechtssystem,
Wirtschaftssystem, Bildungssystem, Kunstsystem . . . etc. Vom globalen Dorf kann auch
dort sodann die Rede sein, wo kein Internetanschluss vorliegt und wo keine anderen
technischen Gerätschaften Weltkommunikation vorsehen oder ermöglichen, denn auch wo
keine Glasfaserkabel liegen, kann kommunikativ