- 9 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
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Dörfer sind durch eine geringe Eigenkomplexität und Überschaubarkeit ausgezeichnet. Davon ist das so genannte globale Dorf weit entfernt. Dieses zeichnet sich durch Komplexität aus. »Komplexität ist die Einheit einer Vielheit. [. . . ] Eine Einheit ist in dem Maße komplex, als sie mehr Elemente besitzt und diese durch mehr Relationen verbindet« (Luhmann 1997: 136f.). Mit der wachsenden Zahl der Elemente ist keine vollständige Verknüpfung der Elemente untereinander mehr möglich, sondern nur noch eine selektive, die verschieden organisiert werden kann. Das Dorf sehe ich – im Sinne Luhmanns – dominant noch auf der Ebene der stratifikatorischen Differenzierung angesiedelt. Gemeint ist damit ein hierarchisch organisiertes System mit festen Sinnordnungen und zum Teil auch noch Schichtzugehörigkeiten. Es gibt ein definiertes »oben« und »unten«, mit dem – sagen wir – Dorfältesten oder Bürgermeister und dem Pfarrer (sowieso) an der Spitze, sogar dem Lehrer, der an diesem Ort manchmal noch eine gewichtige Rolle spielt, und manchem mehr. Wer etwas sagt, ist dabei häufig wichtiger, als was jemand sagt. Die dörfliche Elite hat ein Interpretations- und Deutungsmonopol. Räumlich hat das Dorf seine Örtlichkeiten, vom Marktplatz bis zum Kirchplatz, und der Rest integriert sich weitgehend übersichtlich in diese räumlich umgrenzte Form ein. Entscheidungen betreffen wesentlich den lokalen Raum, Irrtümer, sofern sie auftreten, mögen alsbald hautnah erlebbar und zeitnah revidiert werden. Das Dorf der Gegenwart ist mehr oder weniger ein Relikt einer sozialen Ordnung, die weitgehend auf ungleichen Schichten aufbaute, die also stratifikatorisch geregelt war. Im Dorf überkommener Provenienz hat jeder seinen Platz. Mag der zugewiesene Platz im territorialen Dorf auch am Rande liegen (ein unverfängliches Beispiel bietet hier die Comic-Figur Troubadix aus dem bekannten gallischen, unbeugsamen Dorf), so ist die (zuweilen fraglos auch disziplinierende oder einengende) Sorge um einen oder die »Komplettbetreuung« (Fuchs) noch in irgendeiner, wenn auch differenzierter Form von der dörflichen Gemeinschaft getragen (auch Troubadix ist trotz seiner allseitig geschmähten und nicht wohlgelittenen Sangeskunst in seinem Dorf geachtet, und man ist um sein Wohl im Falle des Falles durchaus besorgt und steht für ihn ein, wenngleich er in anderen Fällen eine andere »Betreuung« erfährt: festgebunden und geknebelt wohnt er in der Regel den die Abenteuer beschließenden Feierlichkeiten bei).

Sicherlich ist diese Beschreibung weitgehend idealtypisch, denn auch das Dorf der Gegenwart ist von vielfältigen technischen, wirtschaftlichen wie kommunikativen Einflüssen bestimmt, die auch lokale, dörfliche Einheiten global vernetzen, sodass das Dorf keineswegs eine so bruchlose, in sich geschlossene Einheit mehr ist, wie vorgestellt. Gleichwohl ist noch eine überschaubare, vielleicht heimelige Ordnung aufgezeichnet.

Eine solche Sorgfalt ist dem globalen Dorf nicht gegeben, denn dieses erscheint funktional differenziert, was heißen soll, dass keine schichtengebundene Hierarchie dominiert, sondern dass das Dorfleben sich aus sich selbst organisierenden Funktionssystemen ableitet: Wissenschaftssystem, Politiksystem, Religionssystem, Rechtssystem, Wirtschaftssystem, Bildungssystem, Kunstsystem . . . etc. Vom globalen Dorf kann auch dort sodann die Rede sein, wo kein Internetanschluss vorliegt und wo keine anderen technischen Gerätschaften Weltkommunikation vorsehen oder ermöglichen, denn auch wo keine Glasfaserkabel liegen, kann kommunikativ


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