- 10 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (9)Nächste Seite (11) Letzte Seite (437)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

systemspezifisch Welt erfasst und verhandelt werden. Das Kunstsystem kommuniziert oft genug ungefragt so bspw. auch die entlegenste Kunst (»Kunst/Nicht-Kunst«) von Naturvölkern, das Wirtschaftssystem kalkuliert deren Wert (»Zahlen/Nicht-Zahlen«), das Rechtssystem überlegt, ob mit dieser Kunst gehandelt werden darf (»Recht/Unrecht«) usf. Eine jede Musik- und andere Kunst aus entfernten Kulturen kann so zur globalen Marke werden, ob diese nun die eigenen kulturellen Güter einbezogen sehen möchten oder auch nicht. Das schafft mitunter Unzufriedenheiten in lokalen (noch dörflich sortierten) und doch global durchdrungenen Gemeinschaften, wo das eigene Selbstverständnis ungefragt global kommuniziert wird.

Und die einzelnen sozialen Systeme – von der Religion bis zur Wissenschaft – sind in vielen Fällen auch nicht mehr lokal oder national mit fixen territorialen Grenzen bestimmt. Mit dem »Ausstieg aus der Industriegesellschaft beginnt sich diese räumliche Zuordnung [von vereinheitlicher Kultur und Sprache, Durchsetzung staatlich-administrativer Zuständigkeit und Herausbildung von Gewaltmonopolen, Anm. N.S.], ein wesentliches Attribut der Moderne, aufzulösen« (Menzel 1998: 57). Ein jedes System operiert autonom, kommuniziert das Weltdorf auf seine eigene, ihm ganz spezifische und totalisierende Weise. Die Folge ist ein ganzes Bündel divergierender Komplettbeschreibungen. »Die Welt selbst ist nur der Gesamthorizont alles sinnhaften Erlebens, [. . . ]. Sie ist nicht durch Grenzen geschlossen, sondern durch den in ihr aktivierbaren Sinn. Die Welt will nicht als Aggregat, sondern als Korrelat der in ihr stattfindenden Operationen verstanden sein. [. . . ] Und für einen systemtheoretischen Weltbegriff heißt dies, daß die Welt die Gesamtheit dessen ist, was für ein jedes System System-und-Umwelt ist« (Luhmann 1997: 153f.). Eine leitende Führungselite, die den Überblick oder den Blick aufs Ganze hat, ist – wo jedes Funktionssystem aus seiner Sicht ein Total beschreibt und von Fremdreferenz (bspw. eine göttliche Ordnung, die ausstrahlt auf alle anderen Funktionssysteme) auf Selbstreferenz umgestellt hat – nicht denkbar. Das globale Dorf bietet eine systemische Einheit der Vielheit, die mit vielen Sprachen durcheinander spricht. Teilsysteme enden nicht an Territorialgrenzen, sondern Grenzen sind gesellschaftlich funktional bestimmt. Das globale Dorf nimmt Gestalt an vor dem Hintergrund einer Umwelt, die als nicht unerheblicher Rest der Welt ungestalt erscheint. Über binäre Codierungen werden bezeichnende Unterscheidungen getroffen und unter dieser Perspektive wird beobachtet. Alles andere liegt jenseits dieser Grenze. Das Globale ist also nicht die Welt an sich, sondern ein Konstrukt, und auch das Lokale ist eine gestaltete Welt für sich, Konstrukt, nie an sich, hat keine territorialen oder andere Grenzen. Und wenn denn Grenzen kommunikativer Art gezogen sind oder von anderer Seite werden, ist zu fragen, unter welcher Perspektive.

Das globale Dorf erweist sich funktional ausdifferenziert, wobei anregende oder irritierende Störungen von allen Seiten kommen mögen, auch vom entlegensten Ort. Einen Überblick durch eine Verantwortung tragende und lenkende Elite gibt es dabei nicht mehr. Ein ziemliches Durcheinander das Ganze, wo keine verbindlichen Aussagen zum Ganzen mehr gemacht werden (können), sondern Gesagtes einander durchkreuzt, sich widerspricht, sich Missverstehen bezeugt u.a.m.

Keinerlei Ähnlichkeit mit dem Dorf, wie ehedem gekannt, ist gegeben, wo es immerhin noch eine vorstehende Autorität gab, deren Sprache die anderer als Fremdreferenz bereicherte. »Die Globalisierungsfalle« (Martin/Schumann 1998) heißen


Erste Seite (i) Vorherige Seite (9)Nächste Seite (11) Letzte Seite (437)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 10 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander