»Musik setzt eine ungeheure Ausbildung voraus« (Mahnkopf 1998: 64), schreibt Claus-Steffen
Mahnkopf und daran ist auch nichts zu deuteln. Die Frage ist allerdings, welche
Ausbildungsinhalte ein Musikstudium beinhalten sollte? Auch der ansonsten der eigenen
Profession sehr kritisch gegenüber eingestellte Mahnkopf denkt in seiner Streitschrift zur
Musik des 21. Jahrhunderts Ausbildung in den tradierten Kategorien. Dass eine professionelle
Ausbildung auch auf einer Schulung im Instrument »Plattenspieler« aufbauen und so ganz
andere professionelle Techniken abverlangen könnte als das Klavierspiel, ist den Ausführungen
Mahnkopfs nicht abzulesen. Vor das Musizieren ist die langfristige Übungsarbeit gesetzt: beim
Spiel mit dem Klavier genauso wie bspw. beim Spiel mit Plattenspielern. Die Musikausbildung
ließe sich also ergänzen und hieße institutionelle Professionalität auch auf neuen Feldern
des Musizierens auszubilden. Mit einer solchen Erweiterung oder Ergänzung wäre auch das
anspruchsvolle Gebiet des Komponierens ergänzungsbedürftig. Komponieren hieße dann, eine
Kompositionsschulung auf den Weg zu bringen, die die Techniken des Komponierens der
Vergangenheit auf keinen Fall vergisst, aber deren dominierenden Stellenwert relativiert.
»Komponieren gar setzt umfangreiche technische Fähigkeiten voraus« (ebd.). Und auch hier
wäre zu fragen, welche Techniken zu schulen wären?: Muss man in jedem Falle Fugen,
Symphonien, Sonaten u.a. komponieren können, muss man den Kontrapunkt kennen oder
Stimmführungsregeln sowie Regeln zur Harmonisierung, muss man das große Orchester
bedienen können, um Musik, die den Intellekt nicht vergisst oder vernachlässigt, schreiben zu
können? Die Frage ist rhetorisch gemeint und die Antwort will lauten: Nicht in jedem Fall.
Das kommt ganz darauf an, welchem musikalischen Weltbild man folgt und welcher Musik
zur Gestalt verholfen werden soll. Vorstellbar wäre Ausbildung, die sich in unterschiedliche
Stränge aufspaltet: In einen, der verfährt wie bisher. Und in einen, der sich aktuellen
Musizierpraxen öffnet (Stichwort: Schallplattenspieler, Computer) und dabei nicht zentral auf
die symbolisch codierte Notenwelt setzt und in Prüfungen diese daher auch vernachlässigen
kann. Ein Pianist muss sein Instrument beherrschen und seine Spieltechnik ist eine, die
sich als ganze versteht, wie Mahnkopf festhält. Das Ganze umfasst dann die Technik des
Klavierspiels in seinen vielen Schattierungen, was komponierte Klaviermusik differenziert in
Szene setzen lässt. Aber eben auch nur Klaviermusik: Mehr wäre wohl auch zu viel verlangt.
Schon an den Techniken des Geigers dürften die meisten Klavierspieler scheitern – wie auch
anders. Vergleichbares gilt auch für die Techniken des Komponierens. Ein Ganzes sollte sich
hier auch auf ein anderes Spezielles beziehen können oder dürfen. Und das Spezielle muss nicht
mehr zwingend in der Welt der Noten liegen oder mit ihr verbunden sein. Der Klavierspieler
übt Klavier, und der Geiger übt Geige. Und der eine wie andere prägt auf seinem Gebiet eine
instrumententypische Technik aus, die nach Möglichkeit nach Perfektion strebt. Auch die
Welt des Komponierens kann sich entsprechend sortieren: In eine umfassende Ausbildung und
so eine Ganzheit im Sinne der Tradition und in eine Ganzheit, die nach Perfektion strebt beim
Gestalten einer Musik, die der tradierten Kompositionsprinzipien und tradierten Notenlehre
nicht bedarf. Mahnkopf hat mit seiner Aussage recht, dass »Musik [. . . ] – allen Verfechtern
einer ›demokratischen Kreativität‹ zum Trotz – immer eine Angelegenheit derer [ist], die
das Vermögen dazu besitzen« (ebd.: 65). Ein großes Missverständnis ist es, Musikalität mit
ausgebildeter Kompetenz in Notesatzlehre u.Ä. gleichzusetzen bzw. eine solche Kompetenz
zwingend vorauszusetzen, damit Musikalität sich kompetent auszudrücken verstehe. Das eine
hat mit dem anderen nur wenig und wenn dann nur insofern zu tun, als dass Prinzipien
zur Musikgestaltung ein Medium sind, im dem sich Musikalität ausdrücken kann, aber nicht
unbedingt muss. Musikalität kann sich also unbenommen dessen auch ein anderes Medium
suchen und darin sich ausdrücken – und vielleicht im Sinne der angestrebten Musik wesentlich
besser. Nicht jeder kann komponieren (vgl. ebd.), darin hat Mahnkopf recht, aber nicht jeder,
der es kann, muss so komponieren können, wie die Väter der Vergangenheit, um qualitativ
gute oder anders ausgedrückt: interessante Musik zu schreiben.
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