der Analyse spiegelt demnach eine spezifische zeitbedingte Ästhetik und wird
problematisch gehandhabt, wenn die vergangene Ästhetik einfach bedenkenlos
einer neuen Musik übergestülpt wird, die ästhetisch ganz anders grundiert sein
kann.
Es bedarf auch hier zunächst der Prüfung, ob das Analysemittel überhaupt
Tauglichkeit, bezogen auf die Musik, auf die es angewendet werden soll, beweist.
Welchen Sinn und Zweck machte es eigentlich, eine wesentlich auf Klang und Rhythmus
basierende Musik funktionsharmonisch zu qualifizieren? Eine solche Untersuchung kann
unter einer gegebenen Fragestellung ggf. Sinn machen, sie taugt nicht ansatzweise dazu,
das Urteil über die prinzipielle Qualität und den ästhetischen Wert einer solchen Musik
abzugeben. Interessiert den Untersuchenden die Klangstruktur – der Sound – kann es
völlig irrelevant sein, Akkordstrukturen und Melodielinien zu analysieren, sondern es
mögen die Klangeigenschaften unterschiedlicher Synthesizer wie Sampler zur
Untersuchung anstehen, wie sich Mischungsverhältnisse neu regulieren, welche
Syntheseverfahren zur Anwendung gekommen sind u.a.m. Gegebenenfalls macht das
Herleiten der Gestaltungsgeschichte einer bestimmten Musik mehr Sinn als jede tradierte
Analysearbeit.
Kurz und gut: Aus dem zielsetzenden Motiv leitet sich das Analyseinstrumentarium
ab. Wer Musik (welcher Art auch immer) zu prüfen und qualifizieren sucht, hat im
Vorfeld auch das gewählte Analyseinstrumentarium auf seine Relevanz hin zu prüfen.
Wird dieser Schritt unterlassen, haben ermittelte Qualifizierungen von Musik kaum
wirklichen Aussagewert. Als einzig »bedeutungsvolle« Aussage könnte man dann
bestenfalls feststellen, dass eine so untersuchte Gegenwartsmusik – wäre sie im 19.
Jahrhundert (ersatzweise im beginnenden 20. Jahrhundert) so veröffentlicht worden –
nicht mit einer wohlwollenden Kritik hätte rechnen dürfen: eine Erkenntnis, die am
Rande der Belanglosigkeit sich bewegt, da dieser Aussagegehalt für fast jede Musik –
transportiert in längst vergangene Zeiten – gilt. Und fände auch eine aktuelle Musik
nach Maßstäben alter Zeiten Gnade vor der Kritik, der Anlass einer Analyse ist in der
Regel ein anderer, was einen solchen Erkenntnisgrund und –wert wieder nichtig
macht.
Was im musikwissenschaftlichen Diskurs heute fehlt, ist ein neues oder ein
modifiziertes allgemeinverbindliches, zeitgemäßes Analyseinstrumentarium. Man könnte
auch so sagen: Der unüberhörbare Missklang, den einst der Schritt von der »ars antiqua«
zur »ars nova« begleitete, pflanzt sich fraglos bis in die Gegenwart fort. Während dieser
Missklang ganz allgemein als Indiz für Veränderung und das sich vom Alten
Abgrenzende sich begebende »Neue« gelten sowie produktiv gewertet werden
kann, mag sich in dem Missklang heute zuweilen eine veränderungsunwillige,
konservativ-bewahrende Haltung spiegeln. Diese Haltung, die den Schritt auf
das Neue verweigert, trägt destruktive Züge, die Anlass zur Sorge bieten, da
ihr die Bereitschaft, sich gegenwärtigen musikalischen Tendenzen zu öffnen,
nicht innewohnt. Diese Destruktion betrifft so weniger die Musik als solche,
die allen negativen Begleittönen zum Trotz ihren Weg gehen wird, sondern
die Institutionen, aus denen heraus – die eigenen Kriterien nicht hinreichend
selbstkritisch überdenkend und weiterentwickelnd – Kritik geäußert wird. Das
institutionelle Denken der Tradition folgte – um das Beispiel der »ars nova« des 14.
Jahrhunderts noch einmal zu bemühen – alsbald derselben, vereinnahmte und
institutionalisierte diese und fand dafür in der Rückschau Worte der Anerkennung. In
der Verallgemeinerung will dies