Instrumentarium wesentlich noch herleitet, können kein Maßstab bei der
Qualifizierung von Gegenwartsmusik sein. Sie müssen ergänzt oder gar ersetzt
werden durch andere. Unterlässt man dies und nutzt es ungeprüft, wird das
Analyseinstrumentarium implizit praktisch für sakrosankt und überzeitlich gültig
erklärt, da es nicht in der Kritik steht. Das wäre in etwa so, als ob im Rahmen der
Literaturwissenschaft die aus ihrer Zeit heraus zu verstehende dogmatische Regelpoetik
des 18. Jahrhunderts nach wie vor unkritisch für vorbildhaft erachtet würde und die
Lyrik aller Folgejahrhunderte danach und folgerichtig vernichtend qualifiziert
würde.
- Weder Goethe noch Schiller hätten Gnade vor den Kriterien dieser Norm gehabt
und wären verworfen worden, ...
- die der kanonisierten Regelwelt widersprechenden Gedichte der unverbrauchten,
jungen Lyriker des Expressionismus ...
- oder auch die konkrete Poesie – alles Schund im Spiegelbild der normativen
Regelwelt.
- Das wäre weiter und im übertragenen Sinne in etwa so, wenn man die
Momentwerke zeitgenössischer Komponisten nach dem Kriterienkatalog, geltend
für die monumentalen Werke der Klassik, beurteilen wollte und sodann, was nicht
wundert, wenig Erbauliches zu berichten wüsste.
Wird danach gefragt, wie man ein populäres Musikstück denn anders als bisher im Sinne
der Tradition analysieren wolle, kann die Antwort auf eine solche Frage nur in eine
weitere Frage münden: Woraufhin analysiert man und wozu? Möchte man eine
rauschende Musik bspw. auf der Basis der funktionsharmonischen Analyse nach
Riemann (1849–1919) untersuchen, ist die Frage, warum man denn dies tue und auf
welches Ziel hin man untersuche, ungemein relevant, denn je nach dem, welche
Motive eine Untersuchung leiten, werden Urteile im Kontext selbstkritisch. Schon
in der Beantwortung dieser Frage wird das leitende Weltbild des Analysten
aufleuchten.
Werden dagegen Gegenwarts- und andere Musik ohne weitergehende Fragestellungen
mit dem tradierten Analyseinstrumentarium qualifiziert, entfällt jede Selbstkritik und
die Mittel der Analyse erscheinen opak und zeitlos gültig. Aus der Geschichte
Überliefertes kann hilfreich bei der Prüfung von Gegenwartsgeschehen sein. So werden
bspw. auch Texte der Philosophen unermüdlich immer wieder auf die Gegenwart
bezogen. Das geschieht aber im Zuge der Prüfung jener Texte selbst (was kann uns Plato
zu diesem und jenem Aspekt heute noch sagen? Sind Gedankenwelten dem heutigen
Erkenntnisstand noch angemessen? Und wenn ja: Lassen sich bestimmte Ideen
überhaupt auf heutige Situationen übertragen und wie?). Die Qualifizierung der
Gegenwart wird durch die reflektierte Auseinandersetzung mit und Neuqualifizierung
von überkommenen Texten vollzogen. In der Zeit erworbene Techniken, niedergelegte
Schriften und aus Ideen erwachsene Kulturgüter haben so ihren nach wie vor
unbestreitbaren Wert, der aber von Fall zu Fall neu ausgehandelt wird. Das aber
geschieht oft genug nicht, wenn (gegenwärtige) Musik analysiert wird. Dabei
wird das Analyseinstrumentarium der Vergangenheit einfach benutzt, so als
ob es nicht ebenso in der Zeit verankert wäre und seine Zeit gehabt hätte,
aber nicht geprüft und diskutiert ob seiner Gegenwartsrelevanz. Das Mittel