- 57 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
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Falle ausgeblendet, kontextuelle Bezüge beim Schreiben und Deuten von Musik oft großzügig ignoriert. Daraus leitet sich dann auch der Glaube an eine sakrosankte Musik ab, der Mensch zu genügen habe. Das führt dann zu Dogmen, die ständig nur bestätigen, dessen man sich allzu gewiss ist. Etwas weniger vornehm und doch einsichtig klingt dieses Vorgehen bei Karbusicky: »Je resoluter verschiedene Urteile und je ›eindeutiger‹ die Auslegungen rationalistisch sich stilisierender Analytiker sind, umso mehr zeugen sie von Einbildung, von engstirniger Eingenommenheit« (Karbusicky 1979: 199). Der Mangel an Kontingenzbewusstsein verführt zum glaubensgeleiteten Fundamentalismus: Ein Werk ist ein Werk ist ein Werk! Es sei so festhalten: Die Vorstellung von Werken ist das Ergebnis einer gelenkten Aufmerksamkeit, die unter Ausgrenzung anderer vielfältiger Perspektiven zu einer recht eindimensionalen Ansicht wie Einsicht kommt.

2.9.  Exkurs: Von dem Analyseinstrumentarium des 19. und der Musik des 21. Jahrhunderts

»Die Diskussion über den angeblich minderen Wert moderner
Popmusik erinnert an Veröffentlichungen aus dem 18. Jahrhundert,
als sich ältere Musikschriftsteller abfällig über die jungen
Komponisten der frühen Klassik äußerten und meinten, diese
würden primitive Melodien schreiben und könnten nicht einmal eine
vierstimmige Fuge komponieren«

(Herbert Bruhn 2001: 39).

Um eine zeitgenössische populäre Musik musikwissenschaftlich auch adäquat verstehen zu können, muss man dieser nicht unbedingt zugetan sein (man kann eine solche Musik individuell gesehen vielleicht einfach scheußlich finden), doch man sollte ihr – sofern man ihr sich wissenschaftlich anzunähern und sie seriös zu qualifizieren sucht – mit einer gewissen Offenheit begegnen, was ein Urteil – wie leider so oft und üblich – nicht schon vorab gefällt sieht. Man müsste dazu dann das in all mögliche Richtungen weisende Phänomen Populäre Musik auch mit einem zeitgemäßen Untersuchungsinstrumentarium untersuchen. Wo ein solches nicht zur Verfügung steht, muss man es entwickeln. Wo das unterbleibt, greift vorbehaltlos die an den Anfang gestellte Aussage von Herbert Bruhn.

Das traditionelle Analyseinstrumentarium ist – wie im Vorfeld schon angedeutet und späterhin vertieft wird (vgl. Zuhören will gelernt sein – oder: Vom Auge zum Ohr) – aus Partituren entwickelt und der »Augenwelt« geschuldet, die die Welt stillstellt und »Objekte« erschließt. Wo man zwar um ein stets unsicheres, irrendes »Subjekt« wusste, war die Welt mit dem anzunähernden, zu prüfenden Partitur-»Objekt« noch in Ordnung. Das macht auch die Faszination an Notenwelten aus. Sie sind so stillgestellt, was auch die Musik so stillgestellt scheinen lässt, dass sie zu untersuchen ist. Das 20. Jahrhundert brachte nun einiges an Umwälzungen, was die Objektwelt doch tief erschütterte. Schon die »Auflösung der Tonalität hat alle formbildenden Prinzipien der Musik erschüttert. Denn auf alle hatte sie Einfluß genommen, selbst auf Rhythmus, Dynamik und Klangfarbe. (Es sei nur an das Bedürfnis erinnert, die Kadenz rhythmisch, dynamisch und klanglich reicher zu gestalten)« (Stein 1981: 360). Zu den bisherigen acht notenfixierten Tönen gesellten sich vier


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