Falle ausgeblendet, kontextuelle Bezüge beim Schreiben und
Deuten von Musik oft großzügig ignoriert. Daraus leitet sich dann auch der
Glaube an eine sakrosankte Musik ab, der Mensch zu genügen habe. Das führt
dann zu Dogmen, die ständig nur bestätigen, dessen man sich allzu gewiss
ist. Etwas weniger vornehm und doch einsichtig klingt dieses Vorgehen bei
Karbusicky
: »Je resoluter verschiedene Urteile und je ›eindeutiger‹ die Auslegungen
rationalistisch sich stilisierender Analytiker sind, umso mehr zeugen sie von Einbildung,
von engstirniger Eingenommenheit« (Karbusicky 1979: 199). Der Mangel an
Kontingenzbewusstsein verführt zum glaubensgeleiteten Fundamentalismus: Ein Werk
ist ein Werk ist ein Werk! Es sei so festhalten: Die Vorstellung von Werken ist
das Ergebnis einer gelenkten Aufmerksamkeit, die unter Ausgrenzung anderer
vielfältiger Perspektiven zu einer recht eindimensionalen Ansicht wie Einsicht
kommt.
2.9. Exkurs: Von dem Analyseinstrumentarium des 19. und der Musik des 21.
Jahrhunderts
»Die Diskussion über den angeblich minderen Wert moderner
Popmusik erinnert an Veröffentlichungen aus dem 18. Jahrhundert,
als sich ältere Musikschriftsteller abfällig über die jungen
Komponisten der frühen Klassik äußerten und meinten, diese
würden primitive Melodien schreiben und könnten nicht einmal eine
vierstimmige Fuge komponieren«
(Herbert Bruhn 2001: 39).
Um eine zeitgenössische populäre Musik musikwissenschaftlich auch adäquat verstehen
zu können, muss man dieser nicht unbedingt zugetan sein (man kann eine solche Musik
individuell gesehen vielleicht einfach scheußlich finden), doch man sollte ihr – sofern man
ihr sich wissenschaftlich anzunähern und sie seriös zu qualifizieren sucht – mit einer
gewissen Offenheit begegnen, was ein Urteil – wie leider so oft und üblich – nicht schon
vorab gefällt sieht. Man müsste dazu dann das in all mögliche Richtungen weisende
Phänomen Populäre Musik auch mit einem zeitgemäßen Untersuchungsinstrumentarium
untersuchen. Wo ein solches nicht zur Verfügung steht, muss man es entwickeln. Wo das
unterbleibt, greift vorbehaltlos die an den Anfang gestellte Aussage von Herbert
Bruhn.
Das traditionelle Analyseinstrumentarium ist – wie im Vorfeld schon angedeutet und
späterhin vertieft wird (vgl. Zuhören will gelernt sein – oder: Vom Auge zum Ohr) – aus
Partituren entwickelt und der »Augenwelt« geschuldet, die die Welt stillstellt und
»Objekte« erschließt. Wo man zwar um ein stets unsicheres, irrendes »Subjekt« wusste,
war die Welt mit dem anzunähernden, zu prüfenden Partitur-»Objekt« noch
in Ordnung. Das macht auch die Faszination an Notenwelten aus. Sie sind
so stillgestellt, was auch die Musik so stillgestellt scheinen lässt, dass sie zu
untersuchen ist. Das 20. Jahrhundert brachte nun einiges an Umwälzungen, was
die Objektwelt doch tief erschütterte. Schon die »Auflösung der Tonalität hat
alle formbildenden Prinzipien der Musik erschüttert. Denn auf alle hatte sie
Einfluß genommen, selbst auf Rhythmus, Dynamik und Klangfarbe. (Es sei nur
an das Bedürfnis erinnert, die Kadenz rhythmisch, dynamisch und klanglich
reicher zu gestalten)« (Stein 1981: 360). Zu den bisherigen acht notenfixierten
Tönen gesellten sich vier