- 56 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (55)Nächste Seite (57) Letzte Seite (437)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

andere Musik nach dem Programm der »Autonomie« befragt, gesichtet und danach beurteilt. Und das Modellprogramm, das zu Klangwelten ersonnen wird und Autonomie geheißen wird, ist vom Augen-Blick stark affiziert. Mit anderen Worten: Die sorgfältig aufgezeigten Zusammenhänge einer Musik sind dann Ergebnis der Erstunterscheidung autonomes Werk, die in die weiteren Untersuchungen hineinkopiert und weiter ausdifferenziert und bestätigt wird, wobei in der Regel für die möglichen Alternativen kein Blick und Sinn mehr entwickelt wird. Der Eigenwert stabilisiert sich.

Noch einmal soll zwecks Plausibilisierung auf das Umschlagbild alte Frau/junge Frau bezogen werden. Obwohl beispielsweise mit Blick auf dieses Bild zu wissen ist, dass das Bild mit einem Trick arbeitet und eine Alternative bereithält, fällt es sicherlich dem einen oder anderen schwer, sich dieser alternativen Sichtweise zu öffnen. Zu stark ist der Eindruck des einmal Erkannten, von dem schwer zu lösen ist. Nun entspricht die rauschende Welt nicht nur einem schlichten Umschlagbild mit bloß zwei Erscheinungsmöglichkeiten, sondern sie ist komplex, sodass die Erscheinungen in alle möglichen Richtungen weisen können. Die Welt alternativ zu betrachten gerät zu einem noch größeren Problem, wenn noch nicht einmal eine Vorstellung davon zu haben ist, wonach zu suchen ist, in welche Richtung der Perspektivwechsel auch noch erfolgen könnte, welcher Art die Alternative sein könnte. Ersetzt man nun die vorgestellte Bildwelt junge Frau mit der traditionellen Musikwelt der Werke, die So-und-nicht-anders begründet werden, und transformiert die alte Frau in die Vielfalt möglicher Alternativen, zeigt sich, dass die sicher geglaubte Musikwelt ein reines Konstrukt ist, geboren aus dem Wechselspiel zwischen Kommunikation und Bewusstseinsstrom sowie gelenkt vom zentral gewählten »Werkzeug der Beobachtung«: dem Augen-Blick. Die musikalische Erscheinungsform ist so das Ergebnis der Anfangsunterscheidung und daran gemessen, und nicht gemessen und bewertet an einer Form, die sui generis irgendwie existent wäre.

Sofern der blinde Fleck der eigenen bezeichnenden Unterscheidungsleistung nicht im Zuge einer weitergehenden Beobachtung (Beobachtung 2. Ordnung) in den Blick genommen wird, kann ein innovativer Zug einem solchen Vorgehen nur im begrenzten Maße innewohnen und auch die begrenzte Innovation erschöpft sich irgendwann, auch deshalb, weil die Fragen, die man stellt, im gleichen Rahmen sich stets bewegen und eine ungewöhnliche Wendung nicht vorsehen. Die Frage nach dem ›So‹ steht zentral, der Frage nach dem ›Anderssein‹ bzw. nach der Alternative wird nicht nur nicht nachgegangen, sondern vehement zurückgewiesen. Dabei wird dem Phantasma der Möglichkeit einer innermusikalisch »richtigen« (logischen) und so wahren Musik und weiter der Möglichkeit einer »richtigen« Auslegung gefolgt. Entsprechende Beweisführungen sind ahistorisch geführt und ontologisch motiviert – mit anderen Worten sind sie logisch, worauf ansonsten so viel Wert gelegt wird, unbegründet, da sie allein im Glauben an eine – von allen weltlichen Aspekten absehende – transzendente Wahrheit und Gültigkeit gründen. Und wo man das Richtmaß transzendental apriorisch etwas niedriger hängt, wird die eigene »europäisch« ausgerichtete musikalische Logik etwas unbescheiden gleich universalistisch ausgerichtet und gedacht. Kulturelle Besonderheiten werden in dem einen wie anderen


Erste Seite (i) Vorherige Seite (55)Nächste Seite (57) Letzte Seite (437)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 56 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander