- 51 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
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nicht der Musik, sondern eines der bekannten zweideutigen Vexier-/Umschlag- oder Umkehrbilder, bei denen jeweils das, was fokussiert wird, zur informativen Gestalt gerinnt, während die hintergründige Umwelt als informationsloses Rauschen keine Beachtung findet.10
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Bsp.: Necker-Würfel, Albersche Treppe, Rubinsche Vase. Vgl.: Rock, Irvin: Wahrnehmung. Vom visuellen Reiz zum Sehen und Erkennen. Heidelberg 1985, S. 102–104
Wird dagegen dieser Hintergrund fokussiert, kristallisiert sich dort die Gestalt heraus und das zuvor zur Gestalt Erhobene gerät zum Hintergrund. Fast ein jeder kennt zumindest eines dieser Bilder und vielleicht auch das Umschlagbild alte Frau/ junge Frau, das nur diese zwei Erscheinungsmöglichkeiten bietet. Ein Blick auf das Bild lässt entweder die Information junge Frau oder alte Frau erkennen. Nur unter Ausschluss der Alternative ist entweder jung oder alt zu erkennen, aber nie beides zum gleichen Zeitpunkt. Der Beobachter »entscheidet« also darüber, was er sieht, wo er die Grenze zwischen Gestalt (Etwas) und Hintergrund (Nicht-Etwas) zieht. »Etwas ist etwas durch sein Nicht-Etwas. Es ist nichts an seinem Ort ohne das, wodurch der Ort definiert ist: durch den Nicht-Ort. Die Grenze zwischen dem, was ein Beobachter als Ort oder Etwas bezeichnet und dem, was es als Nicht-Ort oder Nicht-Etwas umgibt, ist damit der Ausdruck für die Ordnungsnotwendigkeiten des Beobachters. Die Grenze ist nichts selbst – außer für einen Beobachter« (Fuchs 2001a: 156). Die Entscheidung Figur ist nicht im Bewusstsein der möglichen Alternative getroffen: Zu sehen im Bild ist immer nur die eine oder andere Möglichkeit. Dabei ist das in dem ein wie anderen Falle Ausgeschlossene zugleich aber eingeschlossen, da sich beide identifizierten Gestaltwelten der gleichen rauschenden Materialwelt bedienen und diese sich nur jeweils im Moment anders qualifiziert darstellt. Erkennen ist somit immer das Ergebnis einer Handlung. Wenn der Beobachter mit Blick auf das Bild sich bspw. für die Gestalt junge Frau entschieden hat, werden alle weiteren Beobachtungen (kleine Nase, zierliches Ohr etc.) die Information junge Frau zu bestätigen suchen und so die erkannte Gestalt beweisen wollen. Solange das funktioniert, besteht überhaupt kein Grund an der Erstinformation zu zweifeln. So wird die (im Rahmen der Musikwissenschaft durch das Auge bestimmte) Anfangsunterscheidung durch alle Folgeoperationen durchdekliniert (systemtheoretisch gesprochen: das so genannte »re-entry«). Und es hilft auch nicht, die Analysemethoden zu verfeinern, denn für jede Wissenschaft gilt folgendes Axiom: »[J]a, je reiner sich bei ihr das methodische Bewußtsein entwickelt, desto mehr tendiert sie dazu, das aus dem Blick zu verlieren, was ihrer verfeinerten Methode fremd ist« (Hösle 1999: 9).

Der Beobachter ist praktisch blind für die Möglichkeit alte Frau, da ja jeder weitere erbrachte Beweis die unterschiedene Information junge Frau bestätigt, sodass mit Niklas Luhmann zu sagen ist: »Beobachten benutzt die eigene Unterscheidung als seinen blinden Fleck. Es kann nur sehen, was es mit dieser Unterscheidung sehen kann. Es kann nicht sehen, was es nicht sehen kann« (Luhmann 1992a: 85). Auch die Eingangsfrage zum Buch »Kennen Sie [g@oe:de]?« bezieht sich auf dieses Phänomen. Wer nur oft genug mit [] Bekanntschaft gemacht hat, wird für [g@oe:de] kaum mehr einen rechten Sinn entwickeln und einen solchen möglicherweise vorgestellten weit von sich weisen.

Und nehmen wir auch das Motorrad vom Beginn noch einmal zu Hilfe und unterstellen wir, dass das unidentifizierbare, komplexe Durcheinander dort die undurchschaubare


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