dem Prinzip der Fülle im Zuge gegebener Leere nicht Rechnung tragen,
wenn leere Seiten sich nach Augenschein füllen. Je größer die Anzahl schwarzer
Zeichen auf weißem Grund, um so mehr gab und gibt es auch zu deuten. Ein
der Augenanalyse folgender, hörender Nachvollzug konnte einst den Gedanken
an ein feststehendes »Kunstwerk« oder an »Vermittlungsqualitäten an sich«
ausbilden und lässt heute vielfach nur schwer andere Vorstellungen ersinnen. Die
»stille Musik« eines Cage irritierte allerdings im 20. Jahrhundert schon die
Bilderwelt der Partituren. Nachhaltig erschüttert wurde sie aber nicht, da sie als
Bezugspunkt zur Verständigung nach wie vor relative Verlässlichkeit suggeriert. Man
sieht, was geschrieben steht: das
Supplement Partitur bleibt zur im Grunde
eigentlichen Musik erhoben. Das Prinzip zur »Objektivität« scheint ihr eingelagert zu
sein.
Alte Frau/Junge Frau; Quelle: Internet, nicht mehr nachweisbar.
Die beim Erschließen von Partituren dominante Stellung des Auges mit dem
gedanklichen Trugschluss von Widerspiegelungen respektive Abbildungen nährt eine
ontische Haltung, weil der Konstruktionsaspekt allen Erkennens (vgl. Maturana 1994;
Schmidt 51994; von Glasersfeld 1996) und so aller Beschreibungsaspekte und
Werturteile nicht ins Blickfeld rückt. Der Glaube an Wesenserkenntnis ist an
die Halluzination eines wie auch immer gearteten Abbildens und einer daraus
abgeleiteten gegenstandsgerechten Deutung gekoppelt. Damit aber konstituiert sich
Musikwissenschaft erst mal ihren Gegenstand von Forschung (ein Musikwerk), indem
sie definiert, welchen Ausschnitt von Wirklichkeit sie zu beobachten sucht.
Sie konstruiert sich durch den Akt der Beobachtung ihre musikalische Welt,
und sie leistet dies durch die Operation einer Unterscheidung, was heißen soll,
dass der wissenschaftstreibende Beobachter zu unterscheiden beginnt in das,
was ihm wichtig und informativ und was nicht wichtig ist. Die musikalische
Information ist eine sinnmachende Ordnung oder ein musikalisches Werk und
somit etwas, »was gewisse Alternativen ausschließt« (Bateson 41992: 488).
Mit anderen Worten: Wer vom Werk spricht, bezieht sich auf eine geistreiche
und fantasievolle Erfindung, aber auf nichts Gegebenes, wo immer man dies
Gegebene auch verorten mag. Und auch wer sich allein auf das materielle Substrat
Notat bezieht und ausschließlich immanent Notenbeziehungen prüft und daraus
Werkbegründungen ableitet, hat keineswegs objektiv eine Musik erschlossen,
sondern er denkt eine Werkidee in Vorgefundenes hinein und findet sie darin ggf.
wieder.
Da der Gedankengang von erfundenen und eben nicht vorgefundenen Werkordnungen
mitunter etwas schwer nachzuvollziehen ist und gern auf Widerspruch stößt, zu
offensichtlich scheinen doch Bezüge in Musikwelten gegeben zu sein und diese auch
aufzuzeigen möglich, soll dieser Gedankengang nähergebracht werden am Beispiel