- 50 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
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dem Prinzip der Fülle im Zuge gegebener Leere nicht Rechnung tragen, wenn leere Seiten sich nach Augenschein füllen. Je größer die Anzahl schwarzer Zeichen auf weißem Grund, um so mehr gab und gibt es auch zu deuten. Ein der Augenanalyse folgender, hörender Nachvollzug konnte einst den Gedanken an ein feststehendes »Kunstwerk« oder an »Vermittlungsqualitäten an sich« ausbilden und lässt heute vielfach nur schwer andere Vorstellungen ersinnen. Die »stille Musik« eines Cage irritierte allerdings im 20. Jahrhundert schon die Bilderwelt der Partituren. Nachhaltig erschüttert wurde sie aber nicht, da sie als Bezugspunkt zur Verständigung nach wie vor relative Verlässlichkeit suggeriert. Man sieht, was geschrieben steht: das Supplement Partitur bleibt zur im Grunde eigentlichen Musik erhoben. Das Prinzip zur »Objektivität« scheint ihr eingelagert zu sein.


Alte Frau/Junge Frau; Quelle: Internet, nicht mehr nachweisbar.

Die beim Erschließen von Partituren dominante Stellung des Auges mit dem gedanklichen Trugschluss von Widerspiegelungen respektive Abbildungen nährt eine ontische Haltung, weil der Konstruktionsaspekt allen Erkennens (vgl. Maturana 1994; Schmidt 51994; von Glasersfeld 1996) und so aller Beschreibungsaspekte und Werturteile nicht ins Blickfeld rückt. Der Glaube an Wesenserkenntnis ist an die Halluzination eines wie auch immer gearteten Abbildens und einer daraus abgeleiteten gegenstandsgerechten Deutung gekoppelt. Damit aber konstituiert sich Musikwissenschaft erst mal ihren Gegenstand von Forschung (ein Musikwerk), indem sie definiert, welchen Ausschnitt von Wirklichkeit sie zu beobachten sucht. Sie konstruiert sich durch den Akt der Beobachtung ihre musikalische Welt, und sie leistet dies durch die Operation einer Unterscheidung, was heißen soll, dass der wissenschaftstreibende Beobachter zu unterscheiden beginnt in das, was ihm wichtig und informativ und was nicht wichtig ist. Die musikalische Information ist eine sinnmachende Ordnung oder ein musikalisches Werk und somit etwas, »was gewisse Alternativen ausschließt« (Bateson 41992: 488). Mit anderen Worten: Wer vom Werk spricht, bezieht sich auf eine geistreiche und fantasievolle Erfindung, aber auf nichts Gegebenes, wo immer man dies Gegebene auch verorten mag. Und auch wer sich allein auf das materielle Substrat Notat bezieht und ausschließlich immanent Notenbeziehungen prüft und daraus Werkbegründungen ableitet, hat keineswegs objektiv eine Musik erschlossen, sondern er denkt eine Werkidee in Vorgefundenes hinein und findet sie darin ggf. wieder.

Da der Gedankengang von erfundenen und eben nicht vorgefundenen Werkordnungen mitunter etwas schwer nachzuvollziehen ist und gern auf Widerspruch stößt, zu offensichtlich scheinen doch Bezüge in Musikwelten gegeben zu sein und diese auch aufzuzeigen möglich, soll dieser Gedankengang nähergebracht werden am Beispiel


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