- 48 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (47)Nächste Seite (49) Letzte Seite (437)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

darüber verfährt im Wesentlichen rekonstruktiv, da Zusammenklingendes auf eine immanente Logik untersucht wird, die möglichst widerspruchsfrei zirkulieren soll. Zum Bezugspunkt gerät dabei nicht das klangliche Ereignis, sondern das stumme Notat. Man kann das ganze Vorgehen als hermeneutisch betrachten, das vom Gegenstand, der aber eigentlich gar nicht gegenständlich ist, zum reflektierenden Subjekt wandert, das Teile auf das Ganze hin beleuchtet, und in einem Hin und Her so fortfährt. Der ausgewiesene Begründungshorizont erbringt schließlich im Idealfall den Nachweis, dass die Zusammensetzung von Klang nur so und nicht anders geleistet werden konnte.8
8
Der Umgang mit Musik, aber auch mit Literatur und anderer Kunst, gleicht – das sei nur am Rande erwähnt – eher einem selbstgestellten Rätsel, das bestimmte Fragen aufwirft, die zu lösen man dann bestrebt ist.
Von einem seinsautonomen Werk kann endlich die Rede sein. Man hält ein transzendentes oder zumindest transzendental erschlossenes »Objekt« in Händen, das Werk ist geboren und aus der menschlichen Schöpfungshand in einen Kontext des Absoluten gestellt. Je genauer die Analyseinstrumente sind und je kleinschrittiger ermittelt wird, umso evidenter erscheinen auch die kaum einen Widerspruch mehr zulassenden Ergebnisse. Entwickelt wird bei einem solchen Vorgehen ein kommunikativer Eigenwert (von Foerster), an den systemimmanent immer wieder angeschlossen werden kann. Aus dem Eigenwert und der Schlüssigkeit der Argumentation wird in der Regel auf die »Richtigkeit« und die »Wahrhaftigkeit« dessen geschlossen, was gesagt wurde und anderes unter Verweis zurückgewiesen. Zustimmung wird zuweilen so imperativ eingefordert und zurückgewiesen die Ansicht, dass das untersuchte Objekt auch kontingent zu lesen ist, da der eigene Begründungshorizont eine solche Lesart nicht vorsieht und dagegen steht.

Gehen wir auf diese Eigenwertbildung noch etwas näher ein und auf das, was bislang über Werkbildung und Wertvorstellungen gesagt wurde, um den Widerspruch zwischen »Evidenz« und »Kontingenz« aufzulösen. Untersuchtes referiert nicht auf den Sachverhalt bzw. den Gegenstand des Interesses: das Klangereignis, sondern auf das Kommunikationsereignis. Wie ist das nun konkret zu verstehen? Damit eine Musikwissenschaft aus Beobachtungen begründete Gesetzeshypothesen und aus diesen Gesetzesregeln ableiten kann, bezieht sich Wissenschaft ja gerade nicht auf die rauschende Welt, dazu ist diese zu komplex, sondern stets nur auf einige (in der Regel symbolisch codierte) Aspekte derselben, die ihr wesentlich scheinen. Sie vereinfacht und idealisiert, konstruiert Modelle. Die Partitur in der Musik z.B. ist nichts als ein Behelf, die man mangels der Objektivierung von Musik einst qua Setzung zum Gegenstand erhoben hatte. Die Notenschrift suggerierte den Eindruck eines fest gestellten Werkes, aus dem heraus Sinnstiftung möglich wurde, sodass schließlich eine unverrückbar feststehende, erschließbare Idee lokalisiert werden konnte. In der Schrift: Das musikalische Kunstwerk von Rainer Cadenbach wird die Fixierung, das Feststellen von Musik ganz zentral gesetzt: »Eine der Grundbedingungen dafür, daß wir vom ›Werk‹ sprechen können, ist dessen ›Fixiertheit‹, dessen konkrete, als Gegenstand vorliegende ›Materialisation‹. [. . . ] [E]s kann notiert, also in herkömmlicher Notenschrift aufgeschrieben sein; seine akustische Beschaffenheit kann ›graphisch‹ veranschaulicht sein; es kann in Schaltskizzen und Diagrammen ›formuliert‹ sein; ja es mag auch auf Tonträgern festgehalten sein«


Erste Seite (i) Vorherige Seite (47)Nächste Seite (49) Letzte Seite (437)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 48 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander