- 45 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
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Weltall, wenn es sich selbst empfinden könnte, als an sein Ziel gelangt aufjauchzen und den Gipfel des eigenen Werdens und Wesens bewundern« (Goethe 1998b: 98). Die menschlichen Eigenschaften, harmonisch verbunden, sehen – wie Goethe in einem Aufsatz zu Winckelmann schreibt – dann das Vollkommene. Das Ergebnis – so kommen wir auf das Eingangszitat zu sprechen – und »das letzte Produkt der sich immer steigernden Natur ist der schöne Mensch« (ebd.: 102). Die Problematik erweist sich darin, dass die Natur den »schönen Menschen« in seiner Vollkommenheit »nur selten hervorbringen [kann], weil ihren Ideen gar viele Bedingungen widerstreben, und selbst ihrer Allmacht ist es unmöglich, lange im Vollkommenen zu verweilen und dem Hervorgebrachten Schönen eine Dauer zu geben« (ebd.: 102f.). So ist es denn nur ein »Augenblick, in welchem der schöne Mensch schön sei« (ebd.: 103). Hier nun ist es dem Kunstwerk gegeben, dem flüchtigen Augenblick Dauer zu verleihen, wobei der Mensch als »Gipfel der Natur« das Naturwerk darin übersteigt. »Dazu steigert er sich, indem er sich mit allen Vollkommenheiten und Tugenden durchdringt, Wahl, Ordnung, Harmonie und Bedeutung aufruft und sich endlich zur Produktion des Kunstwerkes erhebt, [. . . ]. Ist es einmal hervorgebracht, steht es in seiner idealen Wirklichkeit vor der Welt, so bringt es eine dauernde Wirkung« (ebd.: 103). Endlich ist der vormalige unzulängliche Augenblick zur Dauer und Ewigkeit erhoben und die Vermögen in Einklang gebracht. »[I]ndem es aus den gesamten Kräften sich geistig entwickelt, so nimmt es alles Herrliche, Verehrungs- und Liebenswürdige in sich auf und erhebt, indem es die menschliche Gestalt beseelt, den Menschen über sich selbst« (ebd.). Der Mensch erweist sich als göttergleich, erhält götterähnlichen Status. »Der Gott war zum Menschen geworden, um den Menschen zum Gott zu erheben« (ebd.). Im harmonischen Kunstwerk verwirklicht sich der Mensch, der Augenblick ist in der Dauer aufgehoben, die allgemeine Regel mit dem Individuellen versöhnt.

Schiller verfolgte ebenso den Traum, die Vermögen von Vernunft und Sinnlichkeit in der schönen Kunst als lebende Gestalt aufgehen zu lassen, um der Menschwerdung zu dienen. Kunst war Leben, da die Natur der Sinne daran Gefallen fanden, und Kunst war Gestalt, da die Vernunft sich gleichsam in der Kunst aufgehoben sah. Beides im Gleichklang war – wie Schiller befand – nur im Schönen zu finden. In dem Ausgleich der Differenzen ist die Einmaligkeit (von Werken) dann begründet, denn im Ausgleich liegt die mit sich selbst im Einklang stehende Identität, und damit ist der Zugang zur Wahrheit begründet. So soll der Mensch an der Kunst, die sich auf ein »wahres« Zentrum hin bewegt, sich bilden und genesen.

Beethoven bspw. gilt daher auch nicht von ungefähr als Komponist, in dessen Musik, die dem schillerschen Ideal wohl am nächsten stand, Konstruktion und Ausdruck ein ausgewogenes Verhältnis fanden. »Es ist bezeichnend, daß Beethoven, der den Deutschen der ›Klassiker‹ schlechthin – als Instanz kompositorischer Vorbildlichkeit –


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