- 42 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
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Orte sich organisieren, und sie andererseits durch die räumliche Trennung während der Rezeption nicht mehr so leicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Die eigene körperliche Unversehrtheit ist nicht mehr gleich riskiert, wenn Ideen an anderen Orten Unmut unter Mächtigen erzeugen, die die eigene Meinung absolut setzen und bei Widerspruch diese weniger durch das argumentative Wort, sondern durch Folter und Strafe durchsetzen und vertreten mögen. »[M]an kann nicht mehr feststellen, ob und wozu eine Kommunikation motiviert hatte« (Luhmann 1997: 203). Der Archivierung des Wissens der Vergangenheit und der leichten Distribution wie Konsumtion entspringen der Impuls und das Motiv zur Neuerung und Produktion. »[D]er Buchdruck erzwingt eine Präferenz für Neues« (ebd.: 996). Seitdem wird die Abweichung als solche und für sich geschätzt, wo zuvor auftretende Abweichungen im Kontext zu vermittelnder Botschaften wesentlich nur goutiert wurden. Stil, der zuvor auf eine vorgängige kanonische Rangordnung rekurriert, wird auf sich selbst die Regeln gebend nunmehr bezogen. »Erst seit Winckelmann wird der auf ›Schrift‹, Manier, Darstellungsart, also auf Sachunterschiede bezogene Stilbegriff zusätzlich in der Zeitdimension verankert und für das Erkennen (und dann gleich auch: für das Bewirken) historischer Unterschiede in Anspruch genommen« (Luhmann 1995: 211). Ein Bewusstsein für abweichende »Stilformen« wird ausgeprägt und gepflegt. Das bedarf des ergänzenden Kommentars, denn auch Wickelmann bezieht sich in seinen Studien über die griechische Antike auf den »alten Freund« Platon (Winckelmann) und dessen Ideenlehre – also auf unterstellte überzeitliche Ideen. In seiner Erstauflage der »Geschichte der Kunst« heißt es so auch: »Die höchste Schönheit [. . . ] ist in Gott, und der Begriff der menschlichen Schönheit wird vollkommen, je gemäßer und übereinstimmender derselbe mit dem höchsten Wesen kann gedacht werden, welches uns der Begriff der Einheit und der Unteilbarkeit von der Materie unterscheidet. Dieser Begriff der Schönheit ist wie [. . . ] ein Geist, welcher sich sucht ein Geschöpf zu zeugen nach dem Ebenbilde der in dem Verstande der Gottheit entworfenen ersten vernünftigen Kreatur« (Winckelmann, zitiert nach: Merker 1982: 126). Ein metaphysisches Programm, kommentiert Merker, bei dem die Idee der Schönheit als »Idee platonischer Prägung« gesetzt wird (Merker; ebd.: 126).

In der Darstellung des einzelnen Werkes allerdings bezieht Winckelmann sich nicht (allein) auf die transzendent verortete universelle Idee, von der aus das Werk qualifiziert wird, sondern zugleich auf eine sinnliche wie faktische Ebene, die »Einbettung des Kunstwerkes in eine vor allem geschichtliche Wirklichkeit« (ebd.: 128) mit der Folge, dass die Beispielhaftigkeit der griechischen Kunst »als Produkt eines glücklichen Zusammentreffens physisch-natürlicher (Milde des Mittelmeerklimas und ethnische Merkmale der Griechen), kultureller (gemeinschaftliche Erziehung und ethische Humanität) und vor allem politischer Bedingungen (demokratische Verfassung der polis, deren geistige Freiheit die Denkart der Griechen beeinflußte)« erklärt wird (ebd.: 127). So kommt Winckelmann das Verdienst zu, »die Stilgesetzlichkeit der Kunst erkannt und den Zusammenhang von Kunstwerk und Volksstil begründet« zu haben (Kultermann 1987: 99). Werk ist danach eine Kopplung von Stilelementen auf Zeit und trotz Bezug auf zugleich losgelöst vom Idealismus.

Ein spezifischer Stil basiert einerseits auf Ähnlichkeit mit Rückbezug auf ein allgemeines Prinzip (ohne eine solche auch kein wiedererkennbarer Stil) und andererseits


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