eine große
ästhetisch-moralische Leistung – die Unmöglichkeit dieses Versuchs eingesehen und nach
einigen Jahren leidenschaftlicher Anstrengung darauf verzichtet; [. . . ]. Die Erklärung
solcher Phänomene ist wohl, daß auch die tonalen Mittel, die er zuzeiten als
natürliche Urgegebenheit betrachtete und wiederherstellen wollte, gar keine
Urgegebenheit sind, sondern selber ein geschichtlich Entsprungenes, Entstandenes,
Gewordenes und damit auch Vergängliches« (Adorno
1965: 133). So hat auch die
Tonalität für Verfechter des auf der Höhe der Zeit zu stehenden musikalischen
Materials und Fortschritts den Wandel zum klassischen Motiv vollzogen, das
seine Zeit hatte und nach seinem Ende bloß noch schematisch, schablonenhaft
klingt. »Man hört durchs Neuere einst verborgene Schwächen des Älteren, sehr
vieles klingt schablonenhaft, das es zu seiner Zeit nicht war. Bereits der in
diesen Dingen sehr alerte Richard Wagner
hat das registriert. Respektlos, aber
aufrichtig formulierte er, daß er bei manchen Stücken von Mozart
das Klappern
des Geschirrs auf dem Tisch vernähme: Tafelmusik, auch wo sie gar nicht als
solche gedacht war. Nach dem Schema konnte man komponieren, solange es als
solches nicht hervortrat, solange es noch eins war mit den selbstverständlichen
Voraussetzungen des Komponierens« (ebd.: 133f.). Mit der Erkenntnis ist der
Dolchstoß gesetzt, das Geheimnis als das entschlüsselt, was es nicht ist, die
Form, das Schema auf ewig – so scheint es – überwunden. Das traditionsgemäße
Fortschrittsdenken lässt nicht zu, die kompositionstechnischen Schablonen der
Vergangenheit zu aktualisieren, da ihr Wert nur aus ihrer Zeit heraus verständlich und
dort verortet wird. Die Befähigung so komponieren zu können, wie man nicht mehr
komponieren soll, qualifiziert den Befähigten anders komponieren zu dürfen. Darin
liegt ihr Sinn und Zweck. »[W]er heute Musik schreiben wollte, als wäre nichts
geschehen, der bewahrte nicht seine Integrität, sondern würde zum Imitator
von Veraltetem; etwa so wie ein Banause, der ohne Kenntnis der modernen
Literatur seine Liebesgedichte schmiert, keinen Neuschnee betritt, sondern
Modelle von Heine
aufwärmt, selbst wenn er sie gar nicht kennt« (Adorno
2003b:
832).
Zwar ist die Musik vergangener Zeiten in der Aufführung – mit aller Vorsicht auf
die in wandelnden Zeiten unterschiedlichen Interpretationspraxen formuliert –
»reproduzierbar«, doch es lohnt nicht, noch so zu komponieren, was alte Musik – trotz
der Vielzahl von Einspielungen – selten macht. Aus der Knappheit eines Gutes aber
gerinnt ein Wert, der an sich dann »sein« soll. Selbst wenn eine im Stile einer
vergangenen Zeit neukomponierte Musik gefällig ist oder gar hervorragend komponiert,
darf folglich bezweifelt werden, dass sie Musikgeschichte schreiben wird. Das hat endlich
damit zu tun, dass mit der Qualifizierung »Klassiker« die wertgeschätzten Vorbilder
aufgenommen sind in den musealen Olymp und bewegungslose Denkmäler geworden
sind: Denkmäler, die man hin und wieder gerne betrachtet bzw. hört, genießt, aus der
zeitlichen Distanz erklärt, dabei verklärt und dann wieder zurückstellt. Die
Musik hat Seltenheitswert deshalb, weil sie schlicht historisch geworden ist.
Mit der Historisierung und mit der begleitenden Erhebung zum Klassiker wird
(Musik-)Kunst zu erhalten und zu bewahren gesucht, die sonst verloren ginge, vergessen
würde.6
Allerdings kann sie zu einem späteren Zeitpunkt wiederentdeckt werden, sofern sie schriftlich
nur niedergelegt ist. Ewigkeit baut so auf auch auf der bewahrenden Endlichkeit von Schrift,
die erhält.
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Wie schrieb schon Adorno
: »Kein ästhetischer