- 37 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
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»Gegenständiges« abgeleitet wird: Es ist Folge eines sich selbst erhaltenden Kommunikationsprozesses, bei dem ein kommunikativer Anschluss an den nächsten anschließt und einen bezeichnenden Unterschied setzt wie weitertransportiert und so einen spezifischen Eigenwert ausprägt, der – anders verzweigt und vernetzt – unter Anlegung einer anderen Beobachtungsdifferenz auch grundsätzlich und gründlich anders ausfallen kann. Das firmiert dann unter »kopernikanischen Wenden« aller Art und »Paradigmenwechseln«, wenn zu Grunde Gelegtes anders gewichtet wird. Kommunikation macht, was sie macht und generiert im Zuge kommunikativer Selektionen ein soziales Verstehen, das sich aus sich selbst emergiert. In diese Richtung deuten auch die Aussagen von Albrecht Wellmer, der schreibt: »Musikwerke [müssen] immer wieder und aus immer wieder sich ändernden geschichtlichen Horizonten heraus neu interpretiert werden; so wie aber die Interpretationen sich ändern, verändern sich auch die Werke: das ›Sein‹ des Musikwerks ist ein wesentlich geschichtliches« (Wellmer 2002: 145). Die Referenz ist stets vorgängige Kommunikation und keine Partitur noch Musikklang, wobei Vorgängiges wiederum aus dem Horizont des Gegenwärtigen qualifiziert ist. Partitur und Klang sind Anlass, irritierendes Weltereignis für Bewusstseine, welche ihrerseits Kommunikation irritieren und kommunikative Selbstbeobachtung in Gang setzen. Und selbst das ist noch zu viel gesagt, denn die Irritation von Bewusstsein wird von schon laufender Kommunikation registriert und präformiert, sodass allein Kommunikation Kommunikation vorantreibt und Verstehen autopoietisch generiert. Sofern Bewusstsein eine Werkidee verficht, kann es Kommunikation anreichern, aber nicht lenken. So mag man auf eine bestimmte Weise qualifizieren, doch wenn von anderer Seite nicht auf ähnliche Weise und wiederholt qualifiziert wird, sind Qualifikationen nicht sozial anschlussfähig. Was wie wird im kommunikativen Erhalt, ist nicht zu lenken noch dirigistisch zu bestimmen.

Aus kommunikativen Folgeereignissen allein gewinnt verflossene Kommunikation »Präsenz«, indem sie bestätigt wird oder nicht, sodass Sinnpräsenz allein in der Absenz sich begibt. Mit anderen Worten: Ein Werk hat so lange ein »Wesen« oder »an sich«, wie das »Wesen« in der Folge (also als Nicht-Präsentes) kommunikativ bestätigt wird und sich so erhält. Fehlt der kommunikative Anschluss, erlischt auch das »Wesen«. Verändert sich der kommunikative Anschluss, verändert sich auch das »Wesen«. Die Information als Mitteilung mag im Verstehen einen »An sich«-Wert wohl bezeichnen, der sich fortpflanzt, sie mag aber auch durch selegierendes Verstehen im nicht gedachten Sinne bezeichnend anders unterscheiden (Stichwort: Paradigmenwechsel). Wichtig in diesem Zusammenhang ist jedenfalls: Jegliches »ist« ist situiert aus dem Blickwinkel einer Nachbetrachtung, die das »ist« nachgerade bezeichnet, was somit nie gegenwärtig war, sodass das »Sein« seine Identität aus der Differenz von »Präsenz/Absenz« konturiert und gerade nicht mit sich identisch ist. Die Folge: Wo man zuvor Unsicherheit nur auf der Seite des denkenden Ichs verortete, herrscht Unsicherheit nunmehr auf beiden Seiten. Auf das »Objekt«-Genannte ist kein Verlass mehr. Objekte bzw. Werke liegen nicht vor, sondern konstituieren sich im Raum von Beobachtungen, in der Wechselbeziehung zwischen Beobachtern und Musik, die Kommunikation anreichern. Das heißt dann konkretisiert: Die Ewigkeit von Werkmusik orientiert sich in der Regel nach dem aktual herrschenden Musikgeschmack (der kommunikativ gepflegt wird) sowie


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