- 34 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
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betroffen, hat auch diese einst eine fortschreitende Entwicklung genommen. »Der Schritt vom zyklischen Zeitverstehen, das auf rhythmischer Wiederholung und auf Naturzeit basierte, hin zum linearen Zeitverstehen der Neuzeit ist in der Musikgeschichte auffallend klar dokumentiert. Auf allen Ebenen der musikalischen Komposition seit etwa 1200 – ob Rhythmik, Stimmführung, Harmonik oder Werkgestalt – sind das Vordringen des linearen Zeitbewußtseins, ein Dynamismus auf Künftiges zu, die Orientierung auf das Ende hin (Finalorientierung) und ein Fortschrittsdenken festzustellen. [. . . ] Das Nach-vorne-Eilen oder Von-der-Stelle-Müssen, das den linearen Zeitbegriff des Mitteleuropäers zunehmend auszeichnete, findet in der Musik sein Äquivalent im Leitton: [. . . ]. [. . . ] Die Anfänge der Leittonbildung findet man mit Beginn der Renaissance: [. . . ]. [. . . ] Nicht nur die Struktur des Tonsatzes mit seinen Leittönen, sondern auch die ganze Werkkonzeption wird zunehmend finalorientierter. [. . . ] Die Musik Bachs war gänzlich auf den Schluß hin angelegt. [. . . ] Bei Ludwig van Beethoven (1770–1827) wurde das Erreichen des Schlußakkordes zum Sinngehalt seiner Musik. [. . . ] Gerade die großbürgerliche Musik des 19. Jahrhunderts mit ihrer Verabsolutierung von Leittönigkeit und linearer Zeitstruktur ist diejenige Musik, die heutzutage am meisten aufgeführt, auf CD oder LP gespielt und gehört wird. Beethoven, Schumann, Brahms, Wagner, Bruckner, Berlioz . . . das sind Namen, die landauf landab das Konzertrepertoire bestimmen. [. . . ] Die großbürgerliche Musik entspricht uns in unserem Innersten, denn wir sind selber als ›Leittöne‹ erzogen worden. [. . . ] ›Leittönigkeit‹ heißt für uns, Leben immer nur in der Zukunft zuzulassen. ›Leittönigkeit‹ schließt Lebendigkeit, Leben in der Gegenwart – und damit Lebensqualität aus. [. . . ] Das Leben findet nur im Jetzt statt« (Schneider 1991: 63–68). Möglich, dass die immaterielle Kultur über Jahrhunderte eingeschriebene Gedanken in Frage zu stellen und eine neue Schreibkultur


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