- 32 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
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Manuskript, Buch und Computer wider. Vorab sei festgehalten: Das Praktische an Schemata ist, dass sie anschaulich sind, das Unpraktische, dass sie immer so grob vereinfachend sind, dass sie vieles, was gleichermaßen der Berücksichtigung bedürfte, ausgrenzen. Dass neben Medien noch anderes sich mit dem menschlichen Bewusstsein rückkoppelt, ist keine Erkenntnis, sondern eine Trivialität und im Grunde unerheblich zu erwähnen.

Versuchen wir in aller gebotenen Kürze das folgende Schaubild zu kommentieren: Was immer in Büchern ausgedrückt wird, bedarf im Zuge der fehlenden Möglichkeit eines Nachfragens des klaren, logischen Gedankens, dem Schreibende wie Lesende folgen, wobei das Geschriebene erst am Ende einer Zeile sich entschlüsselt. »Die Geste des Schreibens gehorcht einer spezifischen Linearität. [. . . ] Als historische, logische, wissenschaftliche und progressive Form füllen wir sie aus, als eine Form auch, die infolge des spezifisch linearen Charakters unserer Geste des Schreibens unumkehrbar ist« (Flusser 1991: 40f.). Der Geste des Schreibens, von der Flusser spricht, ist ein zielgerichtetes Moment und teleologisches Motiv inhärent. Ähnliches gilt für das Buch. Darin zeigt das Buch eine Verwandtschaft zur Schrift-, zur Manuskriptkultur. Im Unterschied zu dieser ist der zeilengemäße, geradlinige Gedanke im Buch allerdings vervielfacht, denn wer immer ein Buch in Händen hält, mag sich so seine eigenen Gedanken machen, während zu Zeiten der Manuskriptkultur es stets einen Interpreten gab, der – keinen Zweifel erlaubend – einzig den verkündeten Sinn gelten ließ. Im Zuge der Vervielfachung von richtungsweisenden Gedankenleistungen ergeben sich unterschiedliche Wege wie Ziele und die Verabschiedung des rechten Verkünders von Botschaften, die stets im Himmelsreich nur endeten und das Diesseits grob vernachlässigen. Der Widerspruch ist mit dem Buch nunmehr zugelassen und die Wissenschaft auf den Weg gebracht. Man ist nicht mehr allein zu »glauben« genötigt, sondern das seinerzeit prägnanterweise so genannte Buch der Natur, das den Menschen umfängt, ist nunmehr zu »erklären« versucht. Die Vernunft auf der einen Seite sieht sich – in Zeilen gefügt – den Lauf der Welt erklären und kann auf der anderen Seite – eigene Befindlichkeiten in Worte gefasst – zu diesen kritisch in Abstand gehen und ein Selbstverständnis aufbauen. Das bringt das Selbstbewusstsein auf Trab und gebiert Autorenpersönlichkeiten, wo vordem Mensch allein als dienendes Sprachrohr, bloßer Kopist auch im Dienste oder als Medium Gottes sich empfand. Wer immer schreibt und sich im Rahmen der Buchkultur eines Gutenberg bewegt, hat sich aber zugleich auch zu bescheiden, denn Bücher haben einen Anfang und ein Ende, was das Archiv zum begrenzten macht und ganz unbescheiden dann den Gedanken von abgeschlossen vollendeten Werke fassen lässt.

Gründete die Form des Buches das »Prinzip Text«, wie Peter Sloterdijk sagt, »in der Begrenzbarkeit der Fäden und Gewebe« (Sloterdijk 1993: 57), so erweist sich nunmehr dieses Prinzip aufgehoben im Medium des Unbegrenzten. Mochte es gedanklich zuvor so erscheinen, daß die Welt alles ist, »worauf am Ende ein Punkt folgen könnte« (ebd.: 58), so mit dem »Prinzip Knoten oder Schnittpunkt« (ebd.: 59) der unablässige Verweis auf anderes. Man könnte auch so sagen: Statt des schließenden Punktes steht am Ende jeder Zeile der auf anderes verweisende Doppelpunkt. Mit dem Computer umzugehen impliziert die aktive Webarbeit, was auch zuvor schon das menschliche Sein bestimmte, doch im Unterschied dazu


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