- 29 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
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einerseits neue Ideen ermöglichen, aber auch Gedankenarbeit beschränken. »Diese verdammten Klavierfinger, die über dem ewigen Üben und Meistern an ihnen endlich eine Art von Selbstständigkeit und eigenwilligen Verstand erhalten, sind bewußtlose Tyrannen und Zwingherren der Schöpfungskraft«, so Carl Maria von Weber in seinem Roman »Tonkünstlers Leben« (zitiert nach Kroll 1934: 65), was verdeutlicht, dass das Setzen der Finger nach Instrumentenvorschrift Kompositionsprozesse in Bahnen lenkt (zur weiteren Vertiefung und für weitere Beispiele, vgl. Schläbitz 1997: 41–48). Mediale Wirkungen anzuerkennen oder auch nur durchzudenken unterstellt, dass der menschliche Wille so frei nicht ist, sondern von einem technischen Moment zumindest ansatzweise beeinflusst oder gar durchdrungen. Das klingt mancherorts unsympathisch. Wo man zuvor individuelle Schöpferkraft und gar Genie vermutete, die zu verstehen gesucht worden sind, walten immer auch wieder erklärbare Mensch-Maschine-Schaltungen. Damit wiederum werden bedeutungsvolle Geistvorstellungen nicht mehr auf der Ebene der Transzendenz, sondern auf der Ebene der Immanenz oder auf der Ebene des Transzendentalen verhandelt, sofern man Medien im Sinne von McLuhan als Erweiterungen der Sinne ansieht.

2.3.  Das Medium als Werkzeug

»Ich beherrsche nur die Sprache der anderen. Die meinige macht
mit mir, was sie will«

(Karl Kraus 1986: 326).

Medien wirken, nehmen Einfluss auf Verschaltungen von neuronalen Synapsen, die im Zusammenstand Gedanken heißen und Ideen implizieren. Das wäre eine Position. Ein andere Position, die zuweilen auch in der Musik zu vernehmen ist, vertritt die Auffassung, von einem Medium, das Einfluss auf Geistesprozesse nähme, könne keine Rede sein, und erklärt ihr Handwerkzeug zum wertneutralen. Wo der mediale Geist auf diese Weise negiert wird und vom störungsfreien Werkzeug die Rede ist, das ganz im Sinne eines originären Willens waltet und Geistesbotschaften sich ausdrucksvoll verwirklichen, glaubt man dem schöpferischen Menschen in seinem natürlichen Wirken gerecht zu werden. Das korrespondiert zunächst einmal mit der über Jahrhunderte gepflegten Vorstellung, die auch im Medium Sprache ein schlichtes neutrales Mittel zum Ausdruck von Gedankenarbeit sah. Im letzten Jahrhundert nun wurde das Verhältnis von Sprache und Gedanken neu bestimmt, als – mit Wittgenstein – die Einsicht reifte, dass Gedanken und daraus abgeleitete Erkenntnisse abhängig sind von dem Mittel Sprache und dessen Leistungen. »Die Sprache ist nach Wittgenstein nicht nur eine Bedingung des Denkens; sie, [. . . ], ist das Denken selbst« (Steinvorth 1994: 53). Seitdem ist von der linguistischen Wende in Philosophie respektive in der Geisteswissenschaft insgesamt die Rede. Das Mittel oder anders ausgedrückt das Medium konstituiert unser Sein, indem es durch ein Repertoire von Zeichen den Blick auf die Welt verstellt und so maßgeblich mitbestimmt, welche Erkenntnisse über die Welt überhaupt möglich sind. Deutlich wird hier, dass man damit natürlich ganz in der Tradition der Sprachwissenschaft um Wilhelm von Humboldt, Martin Heidegger, Benjamin Lee Whorf und eben Ludwig Wittgenstein steht, wonach das Medium Sprache nicht allein Mittel zum Ausdruck von Vorstellungen ist, sondern eindrücklich Vorstellungen und folglich Bedeutungen formt.


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