Arnold
Gehlen
sprach nicht ohne Grund davon, dass der Mensch »von Natur aus ein
Kulturwesen« sei – und auch darauf kommen wir wieder zurück. Das Echte scheint so
ganz echt nicht zu sein und Wahrhaftigkeit nur vorzutäuschen und bedarf ganz
offensichtlich – um echt wenigstens zu scheinen – der Differenz, was jede Idealität schon
aufhebt. Argumentieren wir in diesem Zusammenhang mit Hans Blumenberg
,
der einmal sagte: »Welt zu haben ist immer das Ergebnis einer Kunst« (1960:
19).
Ob etwas als echt oder natürlich oder umgekehrt als künstlich erscheint, ist – so
können wir festhalten – ein Frage der Ansicht, der eingenommenen Perspektive, aber
keine eines ›Objekts‹ noch einer wie auch immer gearteten Idealität, die dann eben auch
Signifikat geheißen werden könnte. Die Diskussion um das Echte und Unechte, um
Wahrheit und Lüge respektive die zwischen Natur und Kultur ist so alt wie unsere
Schriften reichen, um davon Zeugnis abzulegen. Und immer war auch schon eine
Polarität ausgemacht, die unterschied zwischen »gut« und »schlecht«. Der Begriff Natur
leitet sich vom griechischen ›phýsis‹ ab. »Die sophistische Aufklärung nutzte das
Gegensatzpaar ›phýsei – thései‹ insofern bereits in kulturkritischer Absicht, als sie alles
Kulturelle auf seine natürlichen und nicht-natürlichen, d.h. auf menschliche
Setzung verweisenden Elemente hin befragte« (Schnädelbach 1994: 517). In
der ›phýsis‹ (Wesen und Werden der Natur) war das Wohlgeordnete, Gute
erkannt. Dagegen war das menschliche Maß gestellt, indem dargelegt war, dass –
was immer menschlichen Ursprungs war – von der Natur Abstand nahm. Und
Protagoras sprach davon, dass der Mensch mit Hilfe der Götter die Kultur zu
»erfinden« angeregt war. Kultur ist demnach ein Surrogat, Ersatz für Natur – bloßes
Supplement. Das menschliche Maß erweist sich schon seit Protagoras Tagen als
unnatürlich, bestimmt von einem technischen Aspekt. Im Einflussbereich des
Technischen allerdings, das oft so kritisch zensiert wird, scheint der Mensch so aber
wohlaufgehoben und geschützt vor dem Unbill, das die andere Seite – das vom
Menschen Unbehandelte und vermeintlich »Echte« – bereithält. Das Menschenmaß
ist eindeutig gerichtet und bezieht Stellung für technische Welten, so für das
Künstliche, das Unechte, Unwahre, Falsche: eben die Kultur. Die nicht enden
wollende Kritik am Unechten hat demnach ihren blinden Fleck, die den kulturellen
Ort, von dem aus Echtheitszertifikate ausgestellt und für gut befunden werden,
ausblendet.
Man ist dort geneigt etwas als ›echt‹ oder als natürlich zu empfinden, sofern es nur
gewöhnlich scheint. So sagte schon einst Descartes, dass »uns viel mehr Gewohnheit und
Beispiel leiten als irgendeine Einsicht« (Descartes 1989: 57). »Das ›Natürliche‹, das sich
von selbst versteht, ist immer geschichtlich« (Geier 1999: 37) und gründet im
Gewöhnungseffekt. Mit anderen Worten: Wer nur lang genug künstliche Welten bewohnt
hat, erkennt darin ganz selbstverständlich natürliche, »echte« Umwelten. Und so kann
der Klavierklang als ganz natürlich wahrgenommen werden, obwohl er vollautomatisch
erzeugt wird (und ohne den Automatismus nicht wäre), denn er hat seine uns
wohlbekannte Technik- und daraus uns einverleibte Wirkungsgeschichte. Was immer uns
umsteht und immer uns bewegt, hat seinen kulturellen – also unnatürlichen – Grund.
Und so wirkt der Computer als noch junges Medium, wo er zum Musizieren
genutzt wird, fremd und »unecht«. Auf alle Fälle scheint er vordergründig der
Gattung »Instrument« fern zu stehen und Computermusizierenden scheint
man vieles zuzubilligen, doch selten nur den Stand des Musikers (darüber wird
noch zu berichten sein). Es bedarf keiner großen