In dem Kapitel: »Spurenreiche lose Kopplungen: Von Derridaüber Luhmannbis ...« wird – wie eben schon angedeutet – im Wesentlichen das
Theoriefundament dieser Arbeit unter Bezug auf ein spezifisch musikalisches
Phänomen gelegt. Ganz zentral wird dabei auf den Werkbegriff bezogen,
an dem Theorie verdeutlicht und der Werkbegriff zugleich kritisch
hinterfragt wird. Dabei wird Abstand genommen von objektivistischen
Interpretationsritualen, die Gestaltungsprinzipien »so-und-nicht-anders«
oder auch teleologisch überzeitlich begründen wollen, die individualistisch
gefärbte genialische Tendenzen verorten oder auch gegebene Sinnbotschaften
Musik zu entnehmen vorgeben. Wer objektiviert und kanonisiert, aus
welchen Gründen auch immer, tut dies im Horizont einer gewachsenen
kulturbedingten Tradition, aber mitnichten im Horizont einer vorgestellten
Entität. »[M]üssen wir in der modernen Gesellschaft am Ende dieses
Jahrhunderts so denken?« (Luhmann21993: 229) und bezogen auf die
Musik darf man analog fragen: Muss eine zeitgemäße Musikwissenschaft
tatsächlich noch mit Begrifflichkeiten und Vorstellungen aus vergangenen
Jahrhunderten arbeiten, die dort in der Zeit sich bildeten und die an dieser
Zeitstelle ihre Zeit hatten? Ein je Vorgestelltes bleibt vorgestellt, also stets
beobachtungsrelativ und keine Detailanalyse am Notenwerk – das im Übrigen
immer noch zentraler Beobachtungsgegenstand von Musikwissenschaft zu
sein scheint in einer Zeit, wo die Musik dominant als Aufschreibsystem das
Reale inskribierende Medien nutzt und immer weniger symbolisch codiert
wird – wird eine Evidenz festzuhalten verstehen, die nicht auch kontingent
zu lesen wäre, auch wenn dies bspw. eine Musik, geformt nach der Syntax der
tonalen Grammatik mit ihren Gliederungsmöglichkeiten, zuweilen beinahe
zwingend suggeriert. Gerade die Auseinandersetzung mit dem Werkbegriff ist
notwendig wenn nicht sogar zwingend, weil die Neuen Technologien diesen
im binären Kombinationsspiel praktisch aufheben, ja als gegenstandslos und
bloße Fiktion verdeutlichen, indem sie den Beobachter als blinden Fleck der
Beobachtung freilegen, der so sieht und beobachtet, wie er eben sieht und
beobachtet. Sofern das Wesen des Werkes als relationales darzulegen gelingt,
ist der Eingriff in Werke auch kein Angriff mehr auf absolute Formen und die
Diskussion darum schlicht obsolet.
Das zweite Kapitel: »Das Projekt der Avantgarde – Von Lehrenden undBelehrten« beschäftigt sich mit denen, die das Kunsthandwerk im Bereich der
Musik ausüben. Dabei wird als These herausgestellt und zu plausibilisieren
gesucht, dass die Kunst in den Alltag eingekehrt ist und von dort Innovationen
auf den Weg gebracht werden, wie sie bislang nur aus dem System
der Kunst heraus zu erwarten waren. In diesem Zusammenhang wird
erarbeitet, dass der Konsument von Kunst »erwachsen« geworden ist und
auf gleicher Augenhöhe mit den Künstlern der Avantgarde operiert. Mit
anderen Worten: Waren die Künstler der Avantgarde ihrem Publikum zu
früheren Zeiten immer einen Schritt voraus, so ist in der gegenwärtigen Zeit
nicht mehr kongruent festzustellen, wer das »Neue« in der Kunst vorantreibt
und wer das Schritttempo bestimmt. Auch wird der Begriff des »Voraus
seins« problematisiert, da danach gefragt wird, auf welches Ziel denn ein
fortschrittliches