- 17 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
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eines Schreibstromes, der die Kontingenz zum Inhalt machte. Kafkas Schreiben suchte diese Differenz von Leid und Lust in ihrem Bedenken auszuhalten, indem die Lösung in der Negation – als Leerstelle – im Signifikantenstrom präsent liegt. Dabei ist die je gefundene Lösung sich ihrer »Verschiebung« (vgl. Derrida 1990), wie Derrida es nennt, nur gewiss.

Das Prinzip Notwendigkeit und die daraus abgeleitete Indifferenz sind keine Lösung, weil sie die Differenz nur zu verdrängen, aber nicht aufzulösen in der Lage sind. So hat Mensch im Rahmen einer der Freiheit sich versagenden gelebten Notwendigkeit sich zu entscheiden. Es ist so der wie bei Kafka immer wiederkehrende Aufbruch anzuschreiben, wobei – wie mit jedem Aufbruch – der ungewisse Ausgang mitgesetzt ist, der kontingent voranschreitet, also Möglichkeiten bietet und die der Modalität: Notwendigkeit vorzieht. »Ich befahl mein Pferd aus dem Stall zu holen. Der Diener verstand mich nicht. ›Wohin reitest du, Herr?‹ ›Ich weiß es nicht‹, sagte ich, ›nur weg von hier, nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen.‹ ›Du kennst also dein Ziel?‹ fragte er. ›Ja‹, antwortete ich, ›ich sagte es doch: ›Weg-von-hier‹, das ist mein Ziel.‹« (Kafka 2001: 235). Kurz: Freiheit ist gerade nicht die Einsicht in die Notwendigkeit, sondern im Gegenteil dokumentiert darin nur das »An-der-Thür-stehn« und »Warten-müssen« (Nietzsche 21988b: 281), wie Nietzsche so treffend im anderen Zusammenhange es sagte. In Kafkas Parabel Vor dem Gesetz (vgl. Kafka 2001: 209f.), in der ein Mann um Einlass in das Gesetz bittet, diesen aber zeitlebens von einem Türhüter versagt bekommt, finden wir diese Problematik wieder. Sie kann als Paradebeispiel für die so unterschiedlichen Lebenskonzepte Notwendigkeit vs. Kontingenz dienen. Mann, Türhüter und Gesetz in der Parabel sind im Prinzip eins. Das allein mit Notwendigkeit gelebte Leben ist ohne jeglichen Eigensinn. Wo dieser fehlt und der Gehorsam lebenslang – auch in wesentlichen Lebensfragen, die eigene Entscheidungen eigentlich abnötigten – dominiert, ist im Dulden das eigene Leben in der fatalen Indifferenz schließlich verwelkt und rückblickend als ungelebtes durchschaut oder dasselbe verdrängt. Der Eigensinn dagegen ist gleichzusetzen mit dem Gesetz und nur zu finden, indem der Zweifel in die eigene Fähigkeit durch das Vertrauen in das eigene Selbst ersetzt ist. So steht der Weg zum Gesetz, nach dem jeder strebt, wie es in der Parabel von Kafka heißt, »jedem offen« : Man muß sich nur trauen in das Gesetz einzutreten, indem man auch dafür einzutreten bereit ist, was für »frau« gleichermaßen gilt. Das sinnerfüllte Leben, das sich frei entfaltet, kann erlangt werden, sofern nur der im Türhüter Gestalt gewordene Zweifel überwunden wird und das vormals kritiklos mit Notwendigkeit gelebte Leben zu hinterfragen ist. Die alleinige Einsicht in die Notwendigkeit dagegen ist der Türhüter, der der Freiheit mit Kontingenzaussicht vorsteht.

Dem bereitwilligen, auf den ersten Blick lebenserleichternden Folgen des Prinzips der Notwendigkeit gefährdet heutzutage Gehorsamwillige, die in einer global vernetzten Gesellschaft ihren zu früheren Zeiten von anderen vorbereiteten Gang mit Notwendigkeit auf einmal und unvermutet in Sackgassen enden sehen. Wie spricht die Maus in Kafkas Kleiner Fabel: »›[U]nd dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.‹ – ›Du musst nur die Laufrichtung ändern‹, sagte die Katze und fraß sie« (Kafka 2001: 225). Die Sackgasse war nicht vorgesehen und verdeutlicht im »zu spät« die Einsicht, dass der Idee Notwendigkeit ein Pharmakon innewohnt, das die


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