der Sphäre des Göttlichen so nahe, der irdischen Sphäre praktisch
damit entzogen: ewiglich – universal. Und wenn von Entwicklung die Rede ist,
»ist die Analogie zwischen historischer und individueller
Entwicklung« (ebd.:
423) von Bedeutung. Dabei ist im Grunde ein Voranschreiten im Sinne einer
physiologisch-psychologischen Reifung angenommen, die sich, der Kontinuität
verpflichtet, notwendig Bahn bricht und die sich menschlicher Einflussnahme
weitgehend verweigert. Die Entwicklung »wird [. . . ] als ein objektives, einer
Rechtfertigung oder Begründung weder fähiges noch bedürftiges Geschehen in einer Welt
angesehen, die ihrem Wesen nach ständig in Bewegung ist . . . So kommt der
Entwicklungsgedanke dem anscheinend allgemein-menschlichen Bedürfnis entgegen,
dem Faktischen die Würde des Notwendigen zu geben« (Wieland
, zitiert nach
Daniel
2001: 425). So sind auch hier dann Regelungen, Eigengesetzlichkeiten zu
erforschen, zu ergründen, die sind, wie sie sind, und logisch-konsequente Abläufe zu
erschließen.
»Kontingenzdenken«, das klingt dagegen nach Beliebigkeit. Ist die Musik eines
Beethovens so ein Zufallsprodukt, Summe zahlloser ineinandergreifender, nicht genau
erschließbarer Faktoren? Hätte sie nicht auch gänzlich anders sein können, wenn zufällig
aufgetretene Ereignis- und Stimmungslagen, Begegnungen oder körperliche
Befindlichkeiten u.a.m. nur zufällig ein wenig anders gelagert gewesen wären? Ist die
gesellschaftliche (politische, künstlerische . . . ) Großwetterlage von Zufällen,
Diskontinuitäten bestimmt, sodass sie und die daraus entworfenen Zeiten überdauernden
Zeitzeichen kontingent zu denken und zu lesen sind? Sind diese Zeitzeichen
nur auf ihre innere Kongruenz, ihr notwendiges Sein hin zu prüfen oder nicht
auch auf ihr prinzipielles Anderssein? Ist sodann ein ausgelotetes Anderssein
»notwendigerweise«(!) defizitär gegenüber Gestalt gewordenen früheren Zeitzeichen?
. . .
Insgesamt geht es beim Berücksichtigen der Kontingenz um den Umgang mit
Komplexität, um das Ausloten von Möglichkeiten, um das Relativieren starrer
Ordnungsraster. Das Berücksichtigen von Kontingenz oder auch die Annahme
von Polyvalenz ist keineswegs so mit Beliebigkeit oder auch Richtungslosigkeit
gleichzusetzen, sondern es ist das Bemühen angezeigt, globalen Erfordernissen gerecht zu
werden, die sich nicht mehr auf trivial-lineare Prozesse herunterdeklinieren
lassen.
Die Sicherheit (von Dorfgemeinschaften) ist nicht (mehr) zu haben und das Risiko
möglicher Fehlentscheidungen zu tragen. Die Welt, in der man die Notwendigkeit noch
hofierte, ist längst Geschichte und deren Sicherungen sind aufgehoben, was im einst
notwendig gedachten Gang aller Geschichte wohl so nicht vorgesehen war. Bestenfalls
hegelianisch verklärt kann man einen notwendigen Gang daraus noch ableiten, der am
Ende zum Guten oder Weltgeist sich fügt. Eine bekannte Sentenz von Hegel besagt, dass
Freiheit die Einsicht in die Notwendigkeit sei. Geleistet ist eine dem Stoizismus
zusprechende Rede, der bekanntermaßen die Vermeidung von Gefährdungen durch die
Vorsicht betreibt. Mit anderen Worten: Die Proklamation der Indifferenz – des
ungelebten Lebens – ist bedeutet, indem die Sicherheit in der Seins-Unempfindlichkeit
gesucht ist. Aber selbst dies bietet keine Gewähr, den gefährlichen Klippen des Lebens
zu entgehen, wenn man Kafkas Worten folgt, der einmal schrieb: »[G]erade die Vorsicht
verlangt, wie leider so oft, das Risiko des Lebens« (Franz Kafka 1996: 132). Kafka mag
geradezu paradigmatisch für ein Denken der Kontingenz stehen. Einerseits
suchte er den ihm auferlegten (scheinbaren) Notwendigkeiten Folge zu leisten,
andererseits entfloh er ihnen mit dem Mittel