eher zur persönlichen Gefährdung und
zum Ausschluss bei, da man sich dem systemischen Durcheinander mit einmal gelernten
Regeln und Antworten kaum mehr gewachsen zeigt. Man grenzt – wie dies Schwanitz
Auswahl zeigt – mehr permanent aus, als dass Bildung geschöpft und erneuert
wird. Die durch das Gelernte vermeintliche Bereicherung hat zur Folge dann
die Verarmung, sofern man Gelerntes als evidentes Gut versteht und nicht als
Transformationsmasse.
- Bildung – so verstanden – sucht nicht die chancenreiche wie fraglos auch risikoreiche
Veränderung oder Richtungsänderung, sondern die bloße Bestätigung dessen, was
ist.
- Bildung – so verstanden – ist kreativitätshemmend. Sie lehnt Kreativität praktisch
vehement ab oder steht ihr misstrauisch gegenüber, da jedwedes Kreativpotential
durch Neuerungen implizit oder explizit immer die Kritik am Bestehenden leistet.
- Bildung – so verstanden – befördert weniger die Toleranz anderen Lebenskulturen
gegenüber, sondern die Rechthaberei, Besserwisserei, macht unsensibel für den
eigenen blinden Fleck der Wahrnehmung.
- Bildung – so verstanden – ist im wesentlichen Maße material statisch gedacht und
einer in Bewegung bleibenden Menschenbildung unangemessen.
Das vorliegende Buch »Mit System ins Durcheinander« versucht auf das Jenseits
festumrissener Werte den Blick zu lenken, die Produktivkräfte darin auszumachen. In
dem aktiven Umgang mit Wissen ist vielleicht der Standpunkt auszuloten, der Halt
verleiht; wer den festen Stand im passiv rezipierten Wissen dagegen zu finden versucht,
steht dem umstehenden gesellschaftlichen Durcheinander nur verständnislos gegenüber
und mag im Klammern daran den Halt verlieren. Und so sind es denn die Kontingenz,
die Polykontextualität, an denen gegebenenfalls aufzurichten ist, sofern die Qualität
derselben entdeckt ist, sprich: sofern ein Bewusstsein für die Kontingenz nur gegeben
ist.
1.3. Kontingenz vs. Notwendigkeit
»Zur Vielseitigkeit gehört nicht allein ein weitumfassendes System,
sondern auch Sinn für das Chaos außerhalb desselben, wie zur
Menschheit der Sinn für ein Jenseits der Menschheit«
(Friedrich Schlegel 1980: 270).
Wo ein Denken der Kontingenz sich Raum schafft, ist das mit nicht unerheblichen
Konsequenzen verbunden, denn der Gegenbegriff von Kontingenz verliert damit an
Bedeutung: Notwendigkeit. Im Falle des Notwendigen greift eins ins andere, ist so und
nicht anders und »vernünftig« begründet. Es sind im Bereich der Musik dann Werke zu
verabschieden, und in der Musikgeschichtsschreibung kann von Entwicklung die
Rede sein, sind aufeinander aufbauende Epochen zu beschreiben. »Es ist dieses
Reich der Notwendigkeit, das nach unausweichlichen, schicksalshaften Regeln
und in – von Gott hergeleiteter – Vernünftigkeit dem Kontingenten gegenüber
einen festen Halt darstellt« (Daniel 2001: 420). Das Notwendige, von dem aus
auch die begründete Kontinuität, der Entwicklungsgedanke sich schließlich
ableiten, ist