Spezialist für die eine
Sache interessierter Dilettant in der anderen bzw. in fast allen anderen. Also
sind Wissenslücken nicht nur verzeihlich, sondern oft genug sogar notwendig,
will man in einem bestimmten Bereich hinreichende Kompetenz aufbauen. Ein
Bildungsbegriff, der nach dem Gießkannenprinzip arbeitet, führt in Konsequenz zu
einem toten Ballastwissen, das – wenn man Glück hat – in Ausnahmefällen man
auch mal benötigen und einbringen kann (bei Günter Jauch oder irgendeiner
anderen Quizshow, auf Smalltalk Partys und in anderen ähnlich relevanten
Lebensfeldern). Damit wird keinem für die Vielfalt von Wissenswelten nur Ignoranz
zeigendes Spezialistentum das Wort geredet, sondern dem Kontextwissen, das
von Fall zu Fall
ausgebildet wird. Das ändert sich von Fall zu Fall und ist in
singulären Büchern im Sinne eines für alle Fälle geltenden Bildungsgutes nicht
aufzuheben.
»Gebildet ist, wer weiß, wo er findet, was er nicht weiß«; schrieb einst Georg Simmel,
und es darf – ohne große Spekulation – angenommen werden, dass Bildungsbücher, die
präsentieren, was man alles wissen muss, das Ergebnis der Synthese der Lektüre
mannigfaltiger Literatur ist, die für wesentlich erachtet wird, aber nicht die Niederschrift
dessen sind, was man eigentlich wissend ständig im Kopf angeblich mit sich tragen
»muss«, wie der Titel jenes Buches es suggeriert. Der Bildungsbegriff von Georg Simmel
führt weiter, weil er nicht nur der Praxis näher, sondern auch Fortbildungen gegenüber
offen steht. Und das ist wesentlich!
Das Buch »Bildung« handelt, wie schon angedeutet, also auch die Musik – also das,
was man von ihr wissen muss – im Vergleich zu den Naturwissenschaften auf
immerhin 22 Seiten ab. Die im Buch genannten Hörbeispiele sind auch auf
einer Begleit-CD zu erwerben, die der Eichborn-Verlag auf der hauseigenen
Web-Seite mit den Worten offeriert: »Wer die maßgeblichen Werke der klassischen
Musik hören will, die Dietrich Schwanitz in seinem Bestseller vorstellt, muß jetzt
nicht mehr unzählige CDs kaufen: denn passend zu Bildung. Alles was man
wissen muß gibt’s jetzt eine CD, die die wichtigsten Werke und Komponisten
der europäischen Klassik in Auszügen vorstellt. Dabei sind es nicht nur die
Hausmarken Mozart, Bach, Verdi oder Wagner, sondern auch unbekanntere
Werke aus Barock, Klassik, Romantik und Moderne, die es zu entdecken gilt.
Eine streitbare Auswahl, aber eine, die man hören muß.« Und das alles auf
einer CD! Debussy und Satie (immerhin!) stehen für die Moderne, natürlich
Haydn, Mozart, Beethoven für die Klassik. Das Mittelalter ist mit drei Titeln
reicher vertreten als die Moderne. Den größten Raum nimmt die Romantik mit
acht Musiktiteln ein. Jeder musikalisch Interessierte möchte mit dem Kopf
schütteln, aber bestimmt nicht darüber streiten bei dieser 80 Minuten Musik
präsentierenden, praktisch willkürlichen Auswahl, die das musikalische Bildungsgut
darstellen soll. Ob man über eine solche magere Musikauswahl noch streiten
mag, fragt sich. Gerade diese CD veranschaulicht, dass die Sehnsucht nach dem
kanonischen Wissen eine verständliche, gleichwohl sehr zweifelhafte, dubiose
ist.4
Mittlerweile ist es eine CD-Box von 10 CDs, die Gebildete kennen sollten, um als gebildet
im Bereich der Musik gelten zu dürfen.
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Auch ein Mehr an Musikinformation und ein gemeinsames Kompendium von
Schwanitz & Fischer stellen für sich genommen nicht schon Bildung dar, sondern in einer
solchen Kombination von Geisteswissen und Naturwissen würden mal mehr mal weniger
gut aufbereitete Informationen aus den jeweiligen Fachwissen-