- 73 -Schmidt, Markus: Ästhetik und Emotion in der nordindischen Kunstmusik 
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5.  Weiterführende Diskussion

Wie in den meisten wissenschaftlichen Arbeiten, so tauchten auch im Verlauf dieser Untersuchung zahlreiche Fragen auf, die nicht weiter verfolgt werden konnten. Da ihre Nichtbeantwortung sich aber möglicherweise auf Folgeuntersuchungen auswirken könnte, soll nicht versäumt werden, sie an dieser Stelle wenigstens zu erwähnen.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass ein Versuch wie der vorliegende immer eine besondere Situation darstellt, die im musikalischen Alltagsleben in dieser Form nicht existiert. Inwieweit sich dieser Ausnahmezustand auf die Bewertung von Musik auswirkt kann nicht beurteilt werden. Zwar konnte gezeigt werden, dass die ästhetischen Urteile der (vier!) Probanden des Wiederholungsversuchs über einen Zeitraum von drei Monaten relativ stabil blieben, dennoch darf nicht vergessen werden, dass hier zwei Ausnahmesituationen miteinander verglichen wurden.

Abgesehen von der Nichtinterpretierbarkeit der speziellen Ergebnisse dieser Studie stellen sich einige darüber hinausgehende Fragen allgemeiner Natur hinsichtlich der in den Referenzstudien verwendeten und vom Verfasser übernommenen Methodik. Es wurde darauf hingewiesen, dass das semantische Differential aus der Psycholinguistik stammt und entwickelt wurde, um die affektive Bedeutung sprachlicher Konzepte zu testen. Die Idee, diese Methode auf musikalische Stimuli anzuwenden, erscheint zunächst einleuchtend, wenn man wie Keil/Keil und Deva/Virmani musikalische Stimuli als Konzepte betrachtet. Von Deva wird dies durch die Parallelität von Musik und Sprache begründet. 162

162   Vgl. Deva S. 56 f und Deva 1981, S. 146 f.

Zwei entscheidende Punkte werden dabei jedoch vernachlässigt:
  1. Die Parallelität von Sprache und Musik kann aus Sicht heutiger Musikpsychologen höchstens in einem metaphorischen Sinn verstanden werden. 163
    163   Vgl. De la Motte-Haber, S. 10 ff.

  2. Ein sprachliches Konzept ist nach Osgoods Definition ein Substantiv, dass durch Adjektive qualifiziert wird. Das Verhältnis von Adjektiv und Substantiv wird wiederum durch Adverbien quantifiziert, z. B. (ein) sehr großes Haus. Diese Dreierbeziehung von Substantiven, Adjektiven und Adverbien stellt Osgood zufolge ein sprachliches Universal dar und bildet die theoretische Grundlage des semantischen Differentials. 164
    164   Vgl. Osgood, 1977, S. 200 f.

    Durch die Übertragung des für diesen Zweck klar definierten Begriffs »Konzept« auf Musik wird dieses Beziehungsgeflecht aufgehoben. Somit ist die Technik ihrer theoretischen Grundlage beraubt.

Der Umkehrschluss, dass nämlich diese Technik zur Evaluation der musikalischen Bedeutung nicht anzuwenden sei, kann aus Gründen der Logik dennoch nicht gezogen werden. Um damit dennoch zu einigermaßen gesicherten Ergebnissen zu kommen, ist noch ein großes Maß an Grundlagenforschung zu betreiben, zumal das musikalische bzw. emotionale Erleben und dessen Versprachlichung zwei voneinander unabhängige Fähigkeiten darstellen.


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