In keiner der beiden Referenzstudien wird zwischen tatsächlich ausgelösten und
potenziellen Gefühlen differenziert. Beide Forschergruppen intendieren, die
tatsächlich ausgelösten Emotionen mit der vorhergesagten Wirkung zu vergleichen.
Gleichzeitig bitten sie ihre Teilnehmer jedoch, die Stimmung der Musik zu
beschreiben.
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Zur alltäglichen Erfahrung mit Musik gehört es ja gerade, dass man beispielsweise ein
Musikstück als traurig empfindet, ohne dabei aber selbst traurig zu werden. Die
vorliegende Arbeit verzichtet in Analogie zu den Referenzstudien ebenfalls darauf, dieses
Problem zu lösen.
Die Auswahl passender und aussagekräftiger Adjektive stellt, wie gezeigt werden konnte,
eine der schwierigsten Aufgaben bei der Arbeit mit dem semantischen Differential
dar.
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Die
auf Charles und Angeliki Keil zurückzuführenden Begriffe wurde von vielen Testteilnehmern
kritisiert, da sie einige Begriffe in nicht in Beziehung zur Musik setzen konnten. Für seine
Folgeuntersuchungen wurde die Adjektivliste von Deva mehrmals und mit wechselndem Erfolg
modifiziert.
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Seinen Überlegungen dazu sei hinzugefügt, dass man seit 1975 über eine hinreichend
gestestete pankulturelle Adjektivskala verfügt, die mit Erfolg in 30 Ländern angewandt
wurde.
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Durch ihre Verwendung wäre auch das nicht als gering zu achtende Problem der
Übersetzung bzw. des Testens in Fremdsprachen gelöst.
Von ähnlicher Bedeutung zeigt sich auch die Auswahl der musikalischen Stimuli, die
im vorliegenden Fall als nicht gerade glücklich bezeichnet werden kann, da sich
beispielsweise Kāfi-Holi und Mishra-Mānd den Beschreibungen nach in ihrem
emotionalen Gehalt stark ähneln. Zukünftige Untersuchungen sollten in dieser Hinsicht
größere Sorgfalt walten lassen.
Weitere Einschränkungen der Methode wurden bereits von Deva thematisiert,
beispielsweise die nicht repräsentative Auswahl der Probanden (Studenten),
die Nichtberücksichtigung der Tages- bzw. Jahreszeit, in der die rāga-s
dargeboten werden sollten, sowie die Auswirkungen bestimmter musikalischer
Parameter wie Tempo, bevorzugter Tetrachord etc. auf das ästhetische
Erleben.
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Die vielen Kritikpunkte und offenen Fragen sollen jedoch keineswegs dazu
ermuntern, die gesamte Thematik auf sich beruhen zu lassen. Die interkulturelle
Musikpsychologie steckt noch in den Kinderschuhen und stellt ein ebenso weites wie
interessantes Feld mit vielen Möglichkeiten dar. Wenigstens zwei Beispiele seien dazu
angeführt:
Dass der interkulturellen Pädagogik in der multikulturellen Gesellschaft eine wichtige
Rolle zukommt, wird heute von kaum jemandem bezweifelt. Die Musikpsychologie kann
zum Verständnis anderer Kulturen beitragen, indem sie erforscht, welche Differenzen und
Gemeinsamkeiten in der Musikwahrnehmung existieren. Gegenseitiges Verständnis und
Respekt könnten sich durch die Kenntnis kultureller Unterschiede gezielt verbessern
lassen.
Die Musiktherapie basiert nach wie vor größtenteils auf Vermutungen
und persönlichen Erfahrungen, die jeglicher wissenschaftlicher Grundlage
entbehren.
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