Wahrscheinlichkeit, dass sie sich von der heutigen Kunstmusik
stark unterscheidet, ist hingegen ziemlich hoch, da die damals gespielten Bogenharfen
das heute übliche singletonic Verfahren nicht zulassen. Der gleich bleibende Grundton
stellt seit mehreren Jahrhunderten einen Grundpfeiler der indischen Kunstmusik dar,
weswegen die meisten Lauteninstrumente verschiebbare Bünde besitzen, um verschiedene
Skalen darauf realisieren zu können. Das modalshift Verfahren, also das Verschieben der
gesamten Skala bei gleich bleibenden Intervallverhältnissen und sich änderndem Grundton,
stellt die einzige Möglichkeit dar, auf einer Bogenharfe unterschiedliche Tonleitern zu
spielen.
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Trotz der vielen offenen Fragen lässt sich festhalten, dass das ästhetische Konzept, im
Sinne einer gezielten emotionalen Beeinflussung durch die Darstellung bestimmter
seelischer Zustände, seinen ersten schriftlichen Niederschlag im Nāṭyastra
fand
und immense Auswirkungen auf den Fortgang der indischen Ästhetik zeitigte.
»Recognising rasa as the goal of all artistic activities, he (Bharata, Anmerk. des Verf.)
stated that the major function of different art-forms is only to evoke rasa in a percipient.
Further he elaborates that in a literary work or play there should be no place for
wasteful words, sentences or emotions which do not contribute to the creation of
rasa.«
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2.2. Die Bṛhad-desi
des Mataṇga
Dieser zwischen 500 und 800 n. Chr. entstandene Text stellt im Hinblick auf die
zeitgenössische ästhetische Konzeption insofern einen Meilenstein dar, als er erstmals den
zentralen Begriff rāga
in seiner heutigen Bedeutung verwendet. Nebenbei bemerkt
zeichnet unter anderem der häufige Bedeutungswandel wichtiger musiktheoretischer
Termini im Laufe der Geschichte verantwortlich für die große Schwierigkeit im
Verständnis altindischer Musikkonzepte, wofür der Begriff rāga
als ein, nicht aber als
einziges Beispiel gelten kann.
Schon im Nāṭyaśāstra
findet er Verwendung, dort allerdings im Sinne von »Farbe« oder
»Reiz«.
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Mataṇga
führt den Begriff als musikalisches Konzept ein, das große Ähnlichkeit mit
dem von Bharata verwendeten Terminus jāti
aufweist. »Although Bharata
does not use the expression rāga
as defined by Matanga and his followers,
Bharata’s jatis (and jati-lakshanas) provide the genus out of which ragas have
evolved.«
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Definiert wird der Begriff folgendermaßen: »That which colours the
mind of the good through a specific svara (interval) and varna (melodic
movement) or through a type of dhvani (sound) is known by the wise as
raga.«
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Ein Großteil sowohl der ästhetischen (»that which colours the mind«) als auch der
musikalischen (»interval«, »melodic movement«, und »sound«) Implikationen des
zeitgenössischen Konzepts »rāga
« wird hier bereits vorweggenommen.
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