- 2 -Schmidt, Markus: Ästhetik und Emotion in der nordindischen Kunstmusik 
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verstehen scheint. Wenngleich spontane Beifallsbekundungen anders und meist stiller ausfallen als bei Konzerten auf indischem Boden, so ähneln sich die Reaktionen doch in vielerlei Hinsicht. Erhärtet wird dieser Verdacht durch die zahlreichen Bekundungen indischer Musiker, die dem Verfasser im Laufe der letzten Jahre immer wieder bestätigten, dass sie bevorzugt vor europäischem Publikum aufträten, da dieses nicht nur bestens zuhöre, sondern auf die Musik auch intensiver reagiere als selbst so manch indischer Hörer.

Die Suche nach Welt umspannenden, musikalischen Universalien, bezogen auf Musikproduktion und –rezeption, mag durch die zahlreichen Forschungen der letzten 50 Jahre tatsächlich obsolet geworden sein, nicht jedoch die vergleichende Untersuchung einzelner, relativ gut erforschter Musikkulturen. Als Beitrag hierzu versteht sich die vorliegende Arbeit.

Weit davon entfernt, erklären zu können, wie Musikrezeption im Detail funktioniert, ist sich die moderne Musikpsychologie doch darüber einig, dass zwei Komponenten der Musik eine zentrale Rolle beim Verständnis spielen, die expressive und die strukturelle. Das Verstehen von Musik, also das Entschlüsseln von Sinn hinter den akustischen Strukturen, bedeutet demnach nichts anderes als das Nachvollziehen des musikalischen Ausdrucks (emotional) und das Erkennen der grammatischen Bedeutung (kognitiv). Beides ist voneinander nicht zu trennen. 3

3   Vgl. de la Motte-Haber, 1985, S. 18 ff und Harrer in: Bruhn, Oerter und Rösing (Hrsg.), 1994, S. 596 ff.

Die nordindische Kunstmusik eignet sich zur interkulturellen Untersuchung des musikalischen Verstehens, im Sinne spontanen, emotionalen Begreifens, aus folgenden Gründen besonders gut:

  1. Als Kunstmusik ist sie, anders als beispielsweise rituelle Musik, nur in geringem Maß an soziokulturelle Kontexte gebunden. Mit anderen Worten, die zeitlichen und örtlichen Dimensionen der Aufführung spielen zum Verständnis der Musik eine untergeordnete Rolle. Der zum vollständigen Begreifen von Musik notwendige, kognitive Anteil wird dadurch zumindest reduziert.
  2. Die ästhetische Tradition verlangt, dass alle musikalischen Parameter (Form, Struktur, Improvisation etc.) dem rāga, der als Entität mit spezifischem, emotionalen Gehalt begriffen wird, unterzuordnen sind. Die auszudrückende Emotion diktiert somit die musikalischen Gesetze des rāga, nach denen sich wiederum die Interpretation zu richten hat.
  3. Hat man einmal ein geeignetes Messinstrument zur Bestimmung musikogener Emotionen gefunden, lassen sich die tatsächlich erzeugten Effekte hervorragend mit den intendierten vergleichen.

Unter den genannten Voraussetzungen und ob der Fülle an Literatur zur indischen Musik mutet es seltsam an, dass sich zu dieser Thematik kaum Material finden lässt. Zwar existieren vereinzelte Untersuchungen zur emotionalen Wirkung nordindischer Kunstmusik auf indische Hörer, 4

4   Vgl. Deva, 1981, S. 138–222.

die Zahl der interkulturellen empirischen Studien reduziert sich jedoch auf eine einzige.

Die von Charles und Angeliki Keil 5

5   Keil und Keil in Nettl (Hrsg.), 1966, S. 153–173.

in den USA und B. Chaitanya Deva und K.G. Virmani 6
6   Deva und Virmani in: Sangeet Natak. Vol. 10, 1968, S. 55–93.

in Indien durchgeführte Untersuchung scheint jedoch mehr oder

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