- 10 -Schmidt, Markus: Ästhetik und Emotion in der nordindischen Kunstmusik 
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bildliche Darstellungen der ga-s und ginī-s, häufig begleitet von poetischen Meditationsversen, welche die persönlichen bzw. charakterlichen Eigenschaften sowie den emotionalen Gehalt der ga-s illustrieren. 39
39   Vgl. Rao, 2000, S. 20 f.

Während das Konzept der rasa in seiner konkreten Realisierung, nicht jedoch in seiner Grundidee an Bedeutung verliert, um einer immer stärker werdenden Individualisierung der ga-s Platz zu machen, gewinnen spezifische Charaktereigenschaften und emotionale Aspekte an ästhetischer Relevanz. »Even today, though Ragamala paintings do not really seem to portray significant musical features, the very fact that pictoral and anthropomorphic representations became quite prominent over the ›syntactic models‹ in describing the individuality of each raga, points to important changes in the aesthetics underlying the raga system.« 40

40   Rao, 2000, S. 21.

In einem Land wie Indien, das eine orale Musiktradition pflegt und in dessen Alltagsleben Mystik und Spiritualität noch heute eine große Rolle spielen, darf im Hinblick auf die musikalische Ästhetik eine weitere Komponente nicht vergessen werden: die der Erzählung. Am Hof des Moghul-Herrschers Akbar (1542–1605) 41

41   Vgl. Massey, R. und J., 1993, S. 49.

wirkte der zur Legende gewordene Musiker Miyāṃ nasena (1530–1595), 42
42   Vgl. Koch, 1995, S. 34.

dessen ungeheures musikalisches Können Anlass zu etlichen, noch heute zirkulierenden Anekdoten gab. So wird beispielsweise von ihm erzählt, dass er mit Hilfe des ga Dipāka Feuer entfachen oder durch den von ihm komponierten ga Myāṃ-ki-Malhār Regen erzeugen konnte. Wohl kaum einem indischen Musiker sind diese Geschichten unbekannt und sowohl bei Konzerten als auch im privaten Kreis werden sie gerne zum besten gegeben, wie der Verfasser bei seinen Indienaufenthalten feststellen durfte.

2.6.  Musikästhetische Entwicklungen im 20. Jahrhundert

Der enge Zusammenhang von rasa als ästhetischem Konzept auf der einen und ga als musikalischem Konzept auf der anderen Seite wird auch im 20. Jahrhundert nur von den wenigsten Musikern und Musiktheoretikern bestritten. Als zunehmendes Problem entpuppt sich allerdings die Tatsache, dass sich aus den altindischen Schriften nicht rekonstruieren lässt, warum ein bestimmter ga Träger seines spezifischen emotionalen Gehalts sein soll, und welche musikalischen Parameter die emotionale Reaktion beim Zuhörer auslösen. Um diese Fragestellungen kreisen die musikästhetischen Debatten des 20. Jahrhunderts.

Innerhalb dieser Debatten lassen sich vier grobe Richtungen ausmachen:

  1. Autoren, welche die altindische rasa-Theorie, wie sie im Nāṭyaśāstra beschrieben ist, ohne Modifikationen bezüglich des zeitgenössischen ga-Konzepts übernehmen
  2. Autoren, die unabhängige Erklärungsmodelle entweder auf Grundlage oder im Widerspruch zur ga-rasa Assoziation entwickeln

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