2.3.2.5 Ein neuer Träger als Gefahr für eine Verschlechterung des Repertoires?
Auch für die Repertoire-Entwicklung entwarfen die CD-Kritiker ein Angstszenario und
prophezeiten eine Einengung der Auswahl unter dem Diktat der Industrie. Doch zeigt
sich etwa Jungheinrichs Annahme »Marktvergrößerung auf der Basis von unendlicher
Repertoireerweiterung funktioniert anscheinend nicht . . . musikalische »Bildung« ist nach
wie vor rudimentär verbreitet; weitaus massenhafter ist im Industriezeitalter das Potential
an technologischer Begeisterungsfähigkeit« im nachhinein als nicht in dem befürchteten Maß
eingetroffen.123
Zitiert nach Jungheinrich 1985, S. 10.
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Bezüglich der vorausgesagten Verschlechterung der Repertoire-Qualität durch
die Compact Disc wissen wir jetzt, dass genau das Gegenteil eingetreten ist,
nämlich eine Ausdifferenzierung des Angebotes in alle Nischen, in denen noch
eine einigermaßen kostendeckende Erschließung neuer Käuferschichten möglich
ist.
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Sonderreihen wie etwa Entartete Musik, Labels für alte und Neue Musik
sowie preiswerte Produktionsfirmen wie etwa Naxos haben ebenfalls dieses
Argument nachhaltig entkräftet. Ende 1986 waren bereits rund 10.000 Titel auf
CD erhältlich, 1987 waren es – Pop und Klassik zusammengerechnet – bereits
17.000.
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Auch Heisters Annahme, die CD-Produktion verschärfe die Tendenz zur weiteren
Verschlechterung der Repertoire-Qualität und grenze vor allem die Weite und
Vielfalt des Programm-Angebots ein, hat sich damit als nicht zutreffend
erwiesen.
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Heister hatte weiter gemutmaßt, die zu Beginn erforderlichen Investitionen bei
Neuproduktionen müssten hier als »willkommene Ausrede zur noch extremeren
gezielten Schrumpfung des Repertoires zugunsten gängiger Tagesware mit
herhalten«.
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Zitiert nach Heister 1985b.
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Dabei argumentierte er noch kurz zuvor, dass nur alle Analog-Aufnahmen auf
Compact Disc überspielt würden und Neuproduktionen erst gar nicht stattfinden
würden. Auch seine Aussage »Die Verdreifachung der Editionen auf LP, MC und nun
auch Compact Disc vergrößert das Programmangebot nicht, sondern verringert es
entsprechend« baut auf der Hypothese auf, dass die Industrie nur die Bestseller, die
»Erfolgstitel« noch einmal vermarkten würde, man also auf »den Hit, den raschen und
großen Verkaufserfolg« setze. Auch müsse der Verbraucher – innerhalb gewisser
Grenzen – nehmen, was man ihm anbiete; und für den Rest hälfen Marketing
und Reklame, um den Kunden die Produktionen der Industrie schmackhaft zu
machen.128
Auch Heisters Einschätzung »Die Compact Disc (CD) ist ein Musterbeispiel
dafür, wie sich unter den hier und heute herrschenden wirtschaftlichen und
soziokulturellen Verhältnissen technischer Fortschritt entwickelt und durchsetzt – oder
konkreter: hier von multinationalen Konzernen der Unterhaltungselektronik
durchgesetzt wird« kann in dieser Absolutheit nicht mehr aufrecht erhalten werden.
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Zitiert nach Heister 1985, S. 13.
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